Krieg – Frieden – Gewalt in Lateinamerika

Am 10. Februar 2023 zelebrierte das Lateinamerika-Forum Berlin e.V. das 30. Jubiläum in den Räumlichkeiten des Lateinamerika-Instituts Berlin.

Ein Beitrag von Sabine Kurtenbach zur Jubiläumsfeier des LAF Berlin

10. Februar 2023

Vor dreißig Jahren begann eine Phase der Hoffnung, dass Lateinamerika die gewaltsame Austragung zahlreicher Konflikte überwinden könnte. 1992 endete der Krieg in El Salvador, der über 70.000 Opfer vor allem in der Zivilgesellschaft gefordert hatte und ein Fünftel der Bevölkerung ins Exil getrieben hatte. Die Beendigung dieses Krieges galt lange als Modell und Blaupause für den „liberalen Frieden“. Die Guerilla gab die Waffen ab und wandelte sich in eine politische Partei gleichen Namens. 1996 endete auch der Krieg in Guatemala, in dem die „Aufstandsbekämpfung“ über 440 indigene Hochlandgemeinden dem Erdboden gleich machte. Auch hier stellte die Zivilgesellschaft – vor allem die indigene Bevölkerung – die überwiegende Zahl der Toten (über 200.000) und Verschwundenen (45.000).

Im Jahr 2016 schließlich unterzeichneten die kolumbianische Regierung und die älteste Guerillagruppe der Region, die FARC, einen umfassenden Friedensvertrag, der neben der Demobilisierung auch eine kleine Landreform, eine innovative Form der Übergangsjustiz und das Ende der zwangsweise Vernichtung von Kokapflanzen vorsah. Der uruguayische Botschafter bei den Vereinten Nationen und Vorsitzende des UN-Sicherheitsrats erklärte im Februar 2017, die Amerikas seien nun frei von Gewaltkonflikten. Die Erwartungen waren also groß.

Die Realität zeigt allerdings ein anderes Bild, das eines „Friedens“ niedriger Intensität. Auch wenn die Kriege am Verhandlungstisch beendet wurden, bestehen andere Formen der Gewalt fort und bleibt Lateinamerika – wenn auch mit großen Unterschieden innerhalb der Region – im weltweiten Vergleich extrem gewaltsam. Im politischen Diskurs wird diese Gewalt dann überwiegend als „kriminell“ klassifiziert. Eine klare Grenzziehung zwischen „politischer“ und „krimineller“ Gewalt ist aber nicht möglich, weil Akteure ihre Zielsetzung ändern können und weil auch politische Gewaltakteure von den amtierenden Regierungen vielfach als „kriminell“ tituliert werden, um ihnen einen politischen Anspruch abzusprechen. Die Eliten und deren Diskurse sind deshalb vielfach ein Teil des Problems und nicht der Lösung. Die vielen Morde an MenschenrechtsverteidigerInnen, RepräsentantInnen sozialer Organisationen und von Gewerkschaften, oder an kritischen JournalistInnen sind eindeutig politisch motiviert und sollen Veränderungen des Status quo verhindern.

Frieden muss folglich weit mehr sein als die Abwesenheit von Krieg. Frieden beruht auf drei Pfeilern oder Funktionen, die jede politische und soziale Ordnung in irgendeiner Form organisieren muss:

1. Physische Integrität, d.h. den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung – wenn auch oftmals nicht aller Bevölkerungsgruppen.
2. Die Gewährleitung von individuellen und kollektiven Menschenrechten als Basis für Möglichkeiten der Partizipation – auch hier nicht notwendigerweise für alle und unter gleichen Bedingungen.
3. Mechanismen und Institutionen, die der konstruktiven Konflikttransformation dienen, etwa das Rechtssystem, aber auch traditionelle Formen der Konfliktregulierung.

Diese zentralen Funktionen jedweder Ordnung sind nicht zwingend staatszentriert oder basieren auf westlichen Erfahrungen und Entwicklungen, sondern auf dem Zusammenspiel unterschiedlicher, historisch und kontextspezifischen Elementen. Der Verlust an demokratischen Mechanismen und die Einschränkung von Zivilgesellschaft und Rechtsstaat in vielen Ländern der Region zeigt, wie wichtig ein Fokus auf diese drei Grundelemente ist. Beispiele hierfür sind Nicaragua und Venezuela.

Der zentrale Konflikt in Lateinamerika ist und bleibt die extreme Ungleichheit und die Frage des Zugangs zu und der Nutzung von Land. Der Klimawandel intensiviert diese Konflikte und auch wenn Deutschland und Europa grünen Wasserstoff und andere Ressourcen aus Lateinamerika importiert, schürt unsere Energiewende dort neue und alte Konflikte.

Hinweise zum Weiterlesen:
2022: GIGA Focus Latin America: From Ending War to Building Peace – Lessons from Latin America:  https://www.gigahamburg.de/en/publications/giga-focus/from-ending-war-to-building-peace-lessons-from-latin-america

2021 (mit Kristina Birke eds.): span.  Los enredos de la paz https://library.fes.de/pdf-files/bueros/kolumbien/18212-20210901.pdf  oder engl. The Entanglements of Peace: Reflections on the long road of transforming the armed conflict in Colombia https://library.fes.de/pdffiles/bueros/kolumbien/18213-20210901.pdf

2019: The limits of peace in Latin America: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/63539

Hier finden Sie weitere Beiträge des Jubiläumsfestes:
Lateinamerika neu betrachten | Claudia Zilla
30 Jahre LAF | Werner Würtele
Das LAF heute | Kristin Bergen, Daniel Kempken, Maria Ángela Torres-Kremers, Achim Wachendorfer