Die politische Landschaft Lateinamerikas wird heute mit Ausnahme Mexikos von einem deutlichen „Rechtsruck“ geprägt. Gleichzeitig aber ist auch ein bemerkenswertes Erstarken feministischer Bewegungen zu verzeichnen, so in Argentinien, Chile, Brasilien und Kolumbien, Länder, die an dem Abend im Fokus standen.
Die Moderation der Veranstaltung hatte die brailianische Gewerkschafterin Didice Godinho Delgado.
Die argentinische Filmemacherin Alicia Elero spannte den Bogen von den Anfängen der argentinischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, getragen von europäischen Einwandererinnen („Durchsetzung des Frauenwahlrechts“), über die Madres/Abuelas de la Plaza de Mayo und deren Suche nach ihren während der Militärdiktatur (1976-83) verschwundenen und entführten Kinder bzw. Enkel/innen, bis hin zum aktuellen Kampf für die Entkriminalisierung von Abtreibungen und die grenzüberschreitende Bewegung „ni una menos“, welche die Ermordung von Frauen, den Feminizid, thematisiert und bekämpft.
Vor kurzem hatte die feministische Bewegung mit der Ablehnung eines liberaleren Abtreibungsrechts durch den Senat eine Etappe verloren. Die katholische Kirche – Seit an Seit mit den Evangelikalen – konnte sich noch einmal durchsetzen. Hoffen lässt allerdings die ab 2019 beschlossene Quote für Frauen, welche 50% der Kongress-Sitze an Frauen vorsehen soll.
Kristina Hinz leistete ihren Beitrag vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrungen mit Frauen in Elendsvierteln von Rio de Janeiro. Einleitend erinnerte sie an die Bedeutung der Frauen im Kampf gegen die brasilianische Militärdiktatur (1964-85). Frauen sind bis heute die treibenden und führenden Kräfte auf der „Basisebene“, so z. B. in Stadtteil- und Kindergartenbewegungen (movimento pro creche).
Mit der Wirtschaftskrise und dem Impeachment 2016 („Kalter Putsch“), welcher zur Absetzung der rechtmäßig gewählten Präsidentin führte, sind tiefdunkle Wolken aufgezogen. Die bereits erfolgte Militarisierung Rio de Janeiros könnte bei einem Wahlsieg des rechtsradikalen und extrem frauenfeindlichen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro am 28. Oktober 2018 zur Blaupause für ganz Brasilien werden. Anstatt der versprochenen Befriedung trug das Militär bisher nur zur Ausdehnung der Gewalt bei. Arme, People of Color, Jugendliche und Frauen sind besondere Opfer von Polizei und para-polizeilichen Banden. Die Bekämpfung des Drogenhandels muss als Vorwand herhalten.
Vor allem junge Frauen, z. T. noch Schülerinnen, sind heute Trägerinnen der Proteste gegen Gewalt und die Prekarisierung der Lebensumstände, für eine bessere Gesundheitsversorgung und Schulbildung („Feministischer-Frühling“).
Die Ermordung der Stadträtin von Rio de Janeiro im März 2018, Marielle, trug mit dazu bei, dass die feministische Bewegung sich zur stärksten politischen Kraft gegen Bolsonaro („Ele não“) entwickelte.
Manuela Veloso ist Juristin und Aktivistin der Frente Amplio, einer chilenischen linken Sammelbewegung. Wie auch in anderen Diktaturen spielten Frauen eine Schlüsselrolle im Widerstand gegen das Pinochet-Regime. Seit Rückkehr zur Demokratie 1990 verzeichnete Chile eindrucksvolle Wellen an Protestbewegungen, so z. B. der Schüler/innen (Pinguine) 2007 und 2011. Der 8. März 2018 stand auch unter dem Banner des Kampfs gegen den Neoliberalismus. Im Mai 2018 schafften es Studentinnen, Massen auf die Straßen zu bringen (ola feminista). Sie fordern verbesserte Studienbedingungen und wenden sich gegen Sexismus in der chilenischen Gesellschaft und ihren Universitäten.
Im Unterschied zu anderen Ländern der Region könnten sich soziale und politische Bewegungen in Chile (noch) relativ frei und ohne Angst entfalten, merkte Manuela an.
Die kolumbianische Sozialwissenschaftlerin Dr. Edna Martinez charakterisierte das Schicksal von armen Frauen mit afrikanischen Wurzeln, deren Schrei nach Gleichheit und Gerechtigkeit auch von Frauen – weißen Frauen – oft nicht gehört werde. In dem extrem konservativ-katholischen Kolumbien gehe es den armen schwarzen und indigenen Familien meist schlicht ums nackte Überleben, die Bewältigung von Alltagsproblemen, Ernährung der Familien, um das Recht auf Land („Wir haben keine Zeit zur Depression“). Frauen kämpfen gegen das patriarchalische System, für den Erhalt ihrer Umwelt und gegen Multis (Bergbau z. B.), die diese zerstören.
Kolumbien führt zusammen mit zentralamerikanischen Ländern die Statistik ermordeter Aktivist/innen an. Der Staat kommt seiner Verantwortung zum Schutz nicht nach. Den „politischen Analphabetismus“ erkennt sie als eines der Probleme, weshalb sich die Menschen die Mär einreden lassen können, die Familie und Kolumbien insgesamt seien von einer „kommunistisch-schwul-venezolanischen Gefahr“ bedroht. Nur so können man erklären, warum das Referendum zur Bestätigung des Friedensprozesses gescheitert sei.
Fazit. Der Abend zeigte, dass in Lateinamerika feministische Bewegungen heute zu den wichtigsten sozialen Bewegungen gehören, mit Unterschieden von Land zu Land aber auch mit vielen Gemeinsamkeiten in den Kampfmitteln, gegenseitigen Befruchtungen und Zielsetzungen – gegen machismo und patriarchalische Strukturen, gegen jede Art von Gewalt, für Frauen- und Menschenrechte, für legalen und sicheren Schwangerschaftsabbruch, die Anerkennung und Gleichheit in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Konfrontiert sind die feministischen Aktivistinnen allerdings mit mächtigen Gegnern, wie gerade das Beispiel Brasilien zeigt. Der Kampf ist noch lange nicht gewonnen.
Wir verabredeten eine Neuauflage der Veranstaltung 2019, um Bilanz zu ziehen, was aus den so hoffnungsvollen Mobilisierungen von 2018 wurde.
Beitrag von Werner Würtele und Kathrin Meyer
Foto Credits: Flickr, luzencor, Vivas nos queremos, CC BY-ND 2.0