Grenzüberschreitende Solidarität

Grenzüberschreitende Solidarität – drei Frauen, drei Länder, ein Kampf. Die Performance „El violador eres tú“ aus Chile, der Protestmarsch der Landarbeiter:innen aus Brasilien und die Hashtags „Niunamenos“ aus Argentinien – drei eindrucksvolle Beispiele für feministische Kämpfe und Frauenbewegungen aus Lateinamerika. So unterschiedliche die drei Länder Argentinien, Brasilien und Chile sind, so unterschiedlich sind auch ihre […]

Grenzüberschreitende Solidarität – drei Frauen, drei Länder, ein Kampf.

Die Performance „El violador eres tú“ aus Chile, der Protestmarsch der Landarbeiter:innen aus Brasilien und die Hashtags „Niunamenos“ aus Argentinien – drei eindrucksvolle Beispiele für feministische Kämpfe und Frauenbewegungen aus Lateinamerika. So unterschiedliche die drei Länder Argentinien, Brasilien und Chile sind, so unterschiedlich sind auch ihre Geschichten und auch die Gesichter der drei feministischen Kämpferinnen, die am 19.11.2020 über die Protestbewegungen ihrer jeweiligen Länder sprechen. Was sie vereint ist der gemeinsame Glaube an Solidarität und an die Notwendigkeit des Widerstandes.

Es ist 19:00 Uhr und die Teilnehmer:innenzahl steigt stetig, während Katharina Treubrodt des LAFs und Valeska Hesse, Leiterin des Referats Lateinamerika und Karibik der Friedrich-Ebert-Stiftung die Begrüßungsworte sprechen. Über 90 Zuhörer:innen nahmen am Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Frauenbewegungen und feministische Kämpfe in Lateinamerika“ des LAF teil, welcher ausschließlich durch weibliche Stimmen getragen wird.

Zu Beginn stellen alle drei Gäste die gesellschaftliche Relevanz der feministischen Bewegungen für ihre Länder vor. Javiera Vallejo Dowling als jüngste Rednerin ist mit ihrem entschlossenen Blick unter dem grünen Halstuch unschwer als Aktivistin zu erkennen. Sie ist aber nicht nur mit für die Koordinierung des „8 de Marzo“ verantwortlich, sondern auch chilenische Journalistin. Die Proteste in Chile und die besondere Kraft, die dabei die feministischen Bewegungen entfaltet haben, sind seit Oktober letzten Jahres ständig in den Medien. Javiera spricht von einem historisch hoch bedeutsamen Kampf, der Feminismus zu einem realen Akteur gemacht und Relevanz in allen Lebensbereichen bekommen hat. Die argentinische Bewegung „Ni una menos“ bezeichnet sie klar als „compañeras“.

Passend dazu trägt auch Vanina Escales ein grünes Halstuch, Symbol der Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibung, und betont die Wichtigkeit solidarischer Netzwerke zwischen den unterschiedlichen Bewegungen. Seit 2015 hat in Argentinien der Feminismus unter der Bewegung „Ni una menos“, ein Aufschrei angesichts der Gewalt gegen Frauen, neuen Aufschwung bekommen. Gerade in dieser Woche könnte sich die Gesetzeslage, die bislang eine Abtreibung nur in zwei Ausnahmesituationen erlaubt (das Leben der Mutter steht in Gefahr oder die Schwangerschaft ist Folge einer Vergewaltigung), verändern. Der vom Präsidenten zum Parlament gebrachte Gesetzentwurf muss von Letzterem noch abgestimmt werden.
Für Vanina ermöglicht Feminismus eine neue Perspektive, die die „natürlichen Umstände“ wie das binäre Geschlechtersystem hinterfragt und den Raum für eine sozialere, solidarische und zukunftsfähige Gesellschaft gibt.

Nalu Faria, Psychologin und Mitglied des internationalen Komitees der „Marcha Mundial de las Mujeres“, strahlt Energie und Gelassenheit zugleich aus. Sie erinnert daran, dass es bereits in den 80er Jahren starke Frauenbewegungen gegeben hat, die in Brasilien allerdings erst nach dem Protestmarsch der Landarbeiter:innen am 08.03.2000 für eine Ausdehnung der Bewegungen sorgte. Markant für die brasilianischen Bewegungen ist die Diversität der Bewegungen wobei die geführten Kämpfe teilweise fragiler und weniger geschlossen als in Argentinien wirken. Nalu wünscht sich eine starke Transnationalisierung des Feminismus, die Rassismus und Neokolonialismus genauso bekämpft wie Machismo.

Alle drei Frauen sprechen dem „Artivismo“, die Kombination aus Kunst und Aktivismus, wie er zum Beispiel in Buenos Aires bei der operación araña als Protestperformance zur Legalisierung von Abtreibung sichtbar wurde, eine große Wichtigkeit zu. Er provoziert und schafft öffentliche Aufmerksamkeit.

Otro ejemplo es la “batucada” (das Trommel), que es una marca de las manifestaciones de la Marcha Mundial de las Mujeres en Brasil.

Ein weiteres Merkmal, das jedoch nicht nur die feministischen Kämpfe auszeichnet, ist die beachtliche Involviertheit junger Frauen, die nicht nur die aktuellen Umstände kritisieren, sondern sich vor allem auch nach der Zukunft fragen.

Die große Bedeutung von Social Media wird ebenfalls von den drei Aktivist:innen aufgegriffen. Vor allem Javiera bestätigt, dass in Chile viel der Mobilisierungsarbeit über Facebook läuft und dass in einem Monopolartigen Medienapparat die Möglichkeit sich unterschiedliche Informationen über Social Media einzuholen enorm wichtig sei. Auch Nalu erzählt, dass viele junge Frauen in brasilianischen Kleinstädten mit Feminismus vor allem über Facebook in Berührung kommen.  Grundsätzlich funktioniere aber nichts ohne eine solide Basis.Und diese Basis, diese Solidarität und Wertschätzung sind zwischen allen drei Redner:innen zu spüren. Natürlich haben alle völlig unterschiedliche Hintergründe, aber der gemeinsame Kampf für eine solidarische, an eine feministische Zukunft eint sie: Drei Frauen, drei Länder, ein Kampf.

Es sammeln sich noch so manche Fragen im Publikumschat, die in 90 Minuten jedoch nicht alle beantwortet werden können. Zum Glück war diese Veranstaltung nur der Auftakt einer Reihe von spannenden Diskussionen und Austauschmöglichkeiten mit Frauen aus verschiedenen Ländern Südamerikas, welche verschiedene und wichtige Themen ansprechen werden.

Ein besonderer Dank geht an die Friedrich-Ebert-Stiftung für die Kooperation und natürlich an alle drei wunderbaren Rednerinnen: Nalu Faria, Javiera Vallejo Dowling und Vanina Escales.

Ein Bericht von Nora Kelschebach

Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier.

Foto Credits: Wikimedia, TitiNicola Marcha Ni Una menos en Buenos Aires, CC-BY-SA-4.0