Was ist neu an der US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika?

  Gibt es überhaupt eine US-Politik gegenüber Lateinamerika? Die Lateinamerika-Politik der USA nach „1000 Tagen Trump“ nahm am 5.12.2019 im LAF ein Podium unter die Lupe, das in ähnlicher Besetzung sich bereits 2016, Trump hatte gerade die Wahl gewonnen, der Frage angenommen hatte. Setzt Trump neue Akzente in der US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika? Wie haben sich […]

 

Bilanz nach drei Jahren

Nach drei Jahren

Gibt es überhaupt eine US-Politik gegenüber Lateinamerika?

Die Lateinamerika-Politik der USA nach „1000 Tagen Trump“ nahm am 5.12.2019 im LAF ein Podium unter die Lupe, das in ähnlicher Besetzung sich bereits 2016, Trump hatte gerade die Wahl gewonnen, der Frage angenommen hatte. Setzt Trump neue Akzente in der US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika? Wie haben sich die Länder auf den Protektionisten Trump eingestellt?
Generell ist die Außenpolitik Trumps von Isolation, der Ablehnung des Multilateralismus und von wirtschaftlichem Protektionismus geprägt, stellt der Lateinamerika-Experte Klaus Bodemer fest. Trump interessiert sich wenig für die Lebensumstände und Entwicklungen in anderen Ländern, haben sie nicht unmittelbar Folgen für seine Wählerschaft oder konterkarieren sie seine wirtschaftlichen Ziele. Die Lateinamerika-Politik der USA ist in Funktion der US-Innenpolitik zu begreifen (Hispanics, Drogen-Handel, Migration). Das erklärt die konzeptionelle Leerstelle hinsichtlich einer klaren Lateinamerika Politik. Den Regierungen des Südens ist zu empfehlen, die US-Innenpolitik genau zu studieren. Mike Spence ist nicht nur Vize-Präsident, sondern auch Angehöriger einer Evangelikalen Kirche mit dementsprechend stock konservativen Gesellschafts- und Familienbild – und Partner:innen in Lateinamerika.
Nichtsdestotrotz lassen sich Prioritäten und unterschiedliche Verhaltensmuster hinsichtlich einzelner Länder erkennen. So gilt Trumps Interesse vornehmlich Mexiko, Venezuela und Kuba. Erstere Nation „verdankt“ ihre Sonderstellung der geografischen Nähe zu den USA, den wirtschaftlichen Verflechtungen (einschließlich Drogenhandel) und den MigrantInnen aus Zentralamerika, die über Mexiko versuchen, ins gelobte Land zu gelangen. Mexiko kommt dabei die wichtige Funktion einer „Gummiwand“ zu.
Um die Abriegelung der Grenzen durchzusetzen, ist Trump kein Mittel zu schade, er drohte bereits mit Strafzöllen auf alle Waren, die aus Mexiko importiert werden. Unterwürfig militarisierte Mexiko seine Nord-Grenze und dies, obwohl Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) mit anderen Wahlversprechungen angetreten war. Der erwartete Konfrontationskurs des linkspopulistischen Präsidenten mit den USA blieb gänzlich aus. Luiz Ramalho, ehem. Berater der GIZ im mexikanischen Außenministerium, sieht in der Strategie AMLOs eine klare Favorisierung von Wirtschaftszielen, die notfalls auch über Wahlversprechen gestellt werden. Trump weiß seine Karten auszuspielen, droht hier mit Strafzöllen, dort mit der Ankündigung einer direkten US-Intervention, die aus US-Sicht dann möglich wird, wenn die Drogenkartelle zu terroristischen Vereinigungen erklärt werden. Die mexikanische Regierung hat dieses Ansinnen umgehend zurückgewiesen. Mexiko wie auch andere Länder der Region werden von Trump massiv unter Druck gesetzt.

von li W. Wuertele, F. Aguiar, A. Wachendorfer, K. Bodemer, L. Ramalho, E. Süßdorf

Die Business-Logik spielt im Verhältnis USA – Kuba wider erwarten eine nachgeordnete Rolle, wie Erich Süßdorf, Berater der Deutschen Welthungerhilfe für Kuba, noch 2016 angenommen hatte. Der Mann, der von den New York Times auch als „virtual secretary of state for Latin America“ bezeichnet wird, Marco Rubio, ist federführend, wenn es um Sanktionen gegen Kuba und Venezuela geht. Sohn exilkubanischer Eltern und Verteidiger des US-Embargos gegen Kuba, setzt Rubio auf zermürbende Sanktionen und Abschottung. Die Lebensbedingungen auf Kuba haben sich in der letzten Zeit wieder erheblich verschlechtert, Folge des eingebrochenen Tourismus,  ausbleibender Auslandsinvestitionen und Rücküberweisungen (remesas). Doch bislang trotzt der Inselstaat den US-Sanktionen. Ein Großteil der Bevölkerung stehe immer noch zu „ihrer Revolution“. Ein Grund dafür sei eine starke Vergesellschaftung (z. B. des Wohnungsmarktes).

von re: Moira Zuazo, Urs Müller-Plantenberg

Zu Venezuela. Waren die Sanktionen gegenüber Venezuela lange Zeit nur symbolischer Natur, da man auf das Erdöl des Landes angewiesen war und im Energiesektor auf enge wirtschaftliche Verflechtungen gesetzt hatte, so änderten die USA seit ca. einem Jahr diese Haltung. Die Auswirkungen sind bekannt: neben hausgemachtem Missmanagement, dramatische Engpässe bei der Lebensmittelversorgung und wirtschaftlicher Kollaps. Venezuelas Regierung schien vor dem Aus, weshalb Maduro-Gegner:innen erhofften, mit der Anerkennung Juan Guaidós als Übergangspräsidenten durch die USA und mehrere europäische Staaten einen schnellen Machtwechsel zu erzeugen. Doch inzwischen geht dem Oppositionsführer die Puste aus und, getrübt durch Korruptionsvorfälle, wird ihm bereits der Untergang prophezeit. Und Maduro? Maduro ist weiterhin im Amt und kann die aggressive Rhetorik Trumps gut instrumentalisieren. Trotz bellizistischer Rhetorik hält Klaus Bodemer eine Militär-Invasion weiterhin für unwahrscheinlich.  Auch rechte Regierungen Lateinamerikas können es sich nicht erlauben, eine Militärintervention der USA – bei der Geschichte – gutzuheißen.
Folgt man bestimmten Quellen, so hatten die USA in Bolivien bei dem „golpe“ die Hände im Spiel. Die USA hatten umgehend die Interimspräsidentin (danach auch die EU-Länder) anerkannt. Andere unterstreichen, so Moira Zuazo, dass der Einfluss Chinas erheblich höher sei als jener der USA.

Beste Freunde

Wenn wir den Blick nach Brasilien lenken, sind wir mit einem wahren Trump-Anhänger konfrontiert: Bolsonaro! Oder auch der „Trump der Tropen“. Und nun dieses: Trump verhängt unangekündigt Zölle für Aluminium und Stahl aus Brasilien!  Die freundschaftliche Fassade beginnt zu bröckeln, wie der brasilianische Journalist und Schriftsteller, Flavio Wolf de Aguiar, weiß. Den USA sind die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Brasilien und China ein Dorn im Auge. Und da nützt es auch nichts, wenn Bolsonaro neulich Trump mit den in der Diplomatie etwas außergewöhnlichen Worten „I love you“ begrüßte. Vor kurzem hatten die USA gegen eine Aufnahme Brasiliens in die OECD votiert. Wahre Freundschaft sieht anders aus. Trump ist auch keineswegs Freund des Abkommens EU-MERCOSUR, erkennt er in diesem nur eine unliebsame Konkurrenz. Das brasilianische Agrobusiness dagegen sieht im Abkommen große Export-Chancen.
Argentinien – berichtet der langjährige FES-Vertreter im Cono Sur und Gewerkschaftsexperte Achim Wachendorfer- hatte sich außenpolitisch unter Mauricio Macri stark den USA zugewandt. Nicht verwunderlich, schließlich pflegte die Familie Macri seit jeher mit den Trumps persönliche und geschäftliche Verbindungen. Unter der neuen Regierung Fernández und Kirchner ist ein politischer Umschwung zu erwarten. Allerdings ist fraglich, wie viel Spielraum der peronistischen Regierung angesichts der exorbitanten Staatsverschuldung bleibt.
Auch im Nachbarland Uruguay hat der Gang zu den Wahlurnen kürzlich für einen Regierungswechsel gesorgt, allerdings in eine gegengesetzte Richtung. Hier wurde das Mitte-links-Bündnis Frente Amplio abgewählt und durch eine konservative Regierung ersetzt. KritikerInnen werfen den USA vor, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben, indem Reisewarnungen für Uruguay verschärft wurden, was die Opposition nutzen konnte, da sie die Sicherheitsfrage ins Zentrum ihres Wahlkampfes gestellt hatte.
Und ein weiterer Player ist auf der politischen Bildfläche in Lateinamerika nicht mehr wegzudenken: China. Mit seiner Handels- und Investitionspolitik, der Vergabe von großen Krediten, die nur schwer zurückgezahlt werden können, weitet China seinen Einfluss in Lateinamerika aus. Der Einfluss der USA in Lateinamerika und Karibik ist unter Trump weiter zurückgegangen.
Hier drängt sich die Frage auf, wie sich Europa in diesem politischen Schachspiel positioniert. Flávio Wolf de Aguiar sprach hierbei aus, was viele im Raum sicherlich teilten: das Unverständnis um die europäische Haltung, wenn nicht selten rechtskonservative Regime in Lateinamerika unterstützt und legitimiert werden.

Haiti – Präsident von US-Gnaden

Was ist nun wirklich neu an den US-Lateinamerika-Beziehungen? Der Mangel an Interesse für die Länder südlich des Rio Grande ist so neu nicht (mit Ausnahmen),  unter Trump allerdings noch gesteigert. Gewöhnungsbedürftig mag für Diplomaten das Beiseiteschieben diplomatischer Gepflogenheiten und ein aggressiver Kommunikationsstil sein, hervorragend imitiert von Bolsonaro und seiner Mannschaft. Beide diffamieren demokratische Normen und Institutionen, bringen ihre Verachtung gegenüber Menschenrechten und Klima/Umweltschutz, gegenüber Minderheiten und Wissenschaften zum Ausdruck. Pflegen Konkurrenz statt Kooperation auch, wenn letzteres manchmal zielführender wäre.
Wirklich neu ist die Einflussnahme auf die lateinamerikanische Politik über die Verbreitung von Falschmeldungen und Gerüchten, social medias nutzend, etwa in Zeiten von Wahlkämpfen und die offene Unterstützung rechtsradikaler Politiker:innen.

Trotz üppiger Besetzung des Podiums war noch ausreichend Zeit für Fragen und Diskussion. Die Veranstaltung wurde allgemein als facetten- und lehrreich bewertet.  Viele Themen jedoch konnten nur angerissen werden. Sie alle könnten zu eigenen Veranstaltungen 2020 mutieren, so Moderator Werner Würtele. Größten Applaus erhielt zum Schluss Urs Müller-Plantenberg für seine Vision „Lateinamerika in vier Jahren“: Biden President of the United States of America, Lula wieder Präsident in Brasilien, ein Sozialist Präsident Chiles und die Frente Amplio ist wieder zurück an der Regierung in Uruguay … schön wär es.

Bericht von Katharina Kist und Werner Würtele