Kampf der Frauen und Indigenen

Zentralamerika – Kampf der Frauen und Indigenen gegen Landraub, Gewalt und Diskriminierung  Die vierte Diskussion der auf fünf Debatten konzipierten Veranstaltungsreihe des Lateinamerika-Forums Berlin (LAF) in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung fand als Videokonferenz am 19.8.2021 statt. Die Moderatorin Juliana Ströbele-Gregor erinnerte eingangs an das Konzept dieses Zyklus über „Gewerkschaften und soziale Bewegungen in Lateinamerika“, nach […]

Zentralamerika – Kampf der Frauen und Indigenen gegen Landraub, Gewalt und Diskriminierung 

Die vierte Diskussion der auf fünf Debatten konzipierten Veranstaltungsreihe des Lateinamerika-Forums Berlin (LAF) in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung fand als Videokonferenz am 19.8.2021 statt. Die Moderatorin Juliana Ströbele-Gregor erinnerte eingangs an das Konzept dieses Zyklus über „Gewerkschaften und soziale Bewegungen in Lateinamerika“, nach dem hier Aktivistinnen und Aktivisten zu Wort kommen, um über neue Praxis-Ansätze ihrer Organisationen in verschiedenen Ländern des Kontinents zu berichten.

Gerade angesichts der durch die Pandemie Covid-19 noch verschärften aktuellen politischen, sozialen und ökonomischen Krisen in den meisten lateinamerikanischen Staaten gelte es, „trotz alledem“ zukunftsweisende Erfahrungen und Handlungsperspektiven vorzustellen, welche die demokratischen und sozialen Rechte der Mehrheit der Bevölkerung schützen und weiterentwickeln. Konzentrierten sich die ersten drei Veranstaltungen auf Berichte aus den Gewerkschaften verschiedener Länder des Kontinents, widmen sich diese und die letzte Konferenz den sozialen Bewegungen als dynamischen und wichtigen Faktor für die Ausgestaltung und alltägliche Verteidigung der Demokratie.

Verónica Cruz Sanchez aus Guanajuato, Mexiko, Gründerin und Direktorin der feministischen Organisation Las Libres (Die Freien), schilderte den seit der Gründung der Organisation vor 20 Jahren geführten Kampf gegen die unterschiedlichsten Formen der Gewalt und Diskriminierung, denen Frauen ausgesetzt sind. Sie thematisierte damit zugleich ein Aktionsfeld, das (wie bekannt, nicht nur) in den anschließend behandelten Ländern ebenfalls ganz oben auf der Agenda sozialer Bewegungen steht. Die zentralen Aufgaben von Las Libres sind, ein gewaltfreies Leben von Frauen zu sichern – auch in der Arbeitswelt (insbesondere bei Hausangestellten) – und die sexuellen und
reproduktiven Rechte (vor allem das Recht auf Schwangerschaftsabbruch) zu stärken. Las Libres begleiten in vielen mexikanischen Bundesstaaten Frauen in Konfliktsituationen, bilden hierzu auch andere Frauen im Rahmen der feministischen Netzwerke aus und setzen sich aktiv ein, in der öffentlichen Meinung die Genderperspektive im Sinne einer tatsächlichen Gleichberechtigung von Männer und Frauen zu popularisieren. Die feministische Bewegung Mexikos, als deren Teil sich Las Libres verstehen, hat dabei durchaus Erfolge aufzuweisen, z.B. bei der gesetzlichen Verankerung des Straftatbestandes des Feminizid (Frauenmord), mit der auch eine entsprechende Debatte in den
Industrieländern des Nordens gefördert wurde. Freilich bleibt die mörderische Gewalt ein besonders gravierendes Problem in Mexiko: 2019
wurden 3800 Frauen ermordet (davon wurden über 1200 als Feminizid eingestuft), die Dunkelziffer ist enorm, vermutlich werden nur 10 % der Tötungsdelikte überhaupt angezeigt und davon enden nur 5% mit einer Verurteilung. Die meisten Morde werden zwar weiterhin von den
männlichen Partnern verübt, aber immer mehr Tote gibt es nicht nur durch „häusliche Gewalt“, sondern auch im öffentlichen Raum als Teil der allgemeinen strukturellen Gewalt durch kriminelle Banden, Drogenkartelle, Waffenhandel oder auch staatliche Repression.

Francisco Simón Francisco ist Journalist in der Medienkooperative Prensa Comunitaria, Mitarbeiter an der Universität San Carlos von Guatemala und in der Forschungsgruppe Entre Rios. Sein Schwerpunkt ist die Verteidigung der Menschenrechte, und als Mitglied der Resistencia Pacífica de la Microregión de Yichk´isis im Norden der Region von Huehuetenango beteiligt er sich am Kampf gegen den Bau eines Wasserkraftwerks auf dem Territorium einer Indigenen Gemeinschaft. Besondere Bedeutung haben die Themen Migration, Indigene Völker, Feminismus und lokale Gemeinschaften. Gewalt in vielfältiger Form ist ein historisches strukturelles Problem Guatemalas. Sie artikuliert sich seit bald 200 Jahren in der politischen, administrativen und juristischen Praxis der herrschenden Oligarchie und der Militärs, zum Beispiel in der institutionalisierten Korruption, die – geschützt durch eine skandalöse Straflosigkeit – Verfahren und Personen zur Beute der Interessen der herrschenden Clique macht. Der Widerstand gegen die willkürliche Manipulation des Justizwesens, u.a. durch Entlassung gesetzestreuer Staatsbeamter, begründet u.a. die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten und der von ihm eingesetzten Justizvertreter. Noch grundsätzlicher ist die Forderung nach einem plurinationalen Staat, der die Vielfalt der Indigenen Nationen abbildet. Denn hier geht es um Menschenrechte, vor allem der Indigenen Gemeinschaften, um den Schutz ihrer lebenswichtigen Territorien gegen Übergriffe und faktische Enteignungen durch nationale Oligarchen oder internationale Firmen, die durch Bergbauprojekte, Palmölplantagen, Staudämme u.ä. das Land der Indigenen rauben. Der Widerstand der Indigenen und ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer (auch in den Medien) wird kriminalisiert und mit Gewalt unterdrückt. Schon die Forderungen nach einer nicht korrupten Justiz sind Grund für staatliche Verfolgung.

Miriam Miranda Chamorro, Repräsentantin der Organización Fraternal Negra de Honduras (OFRANEH, Afro-Indigene Honduranerinnen und Honduraner), gehört zu den international bekanntesten Verteidigerinnen der Menschen- und Umweltrechte Lateinamerikas. Sie wurde vielfach mit internationalen Preisen geehrt, u.a. auch 2019 mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Miriam Miranda gehört zum Volk der Garífuna, ein Afro-Indígena stämmiges Volk, das seit über 200 Jahren an der zentralamerikanischen Atlantikküste lebt (von Südmexiko bis Nicaragua). Viele Garífuna sind in die USA emigriert, wie ja überhaupt angesichts von Gewalt, Korruption, systematischer Menschenrechtsverletzungen und ökonomischer Perspektivlosigkeit Honduras einen erheblichen Anteil an der zentralamerikanischen Migration in die USA hat. Die zentralen Konflikte und Problemfelder sind denen der Nachbarstaaten ähnlich. Seit Jahren gehören die Zahlen der Mordopfer in Honduras weltweit zu den höchsten, verfassungsrechtliche Garantien gibt es faktisch nicht – ihre Einforderung wird umgekehrt eher verfolgt, was berechtigte Angst und Misstrauen gegenüber der Justiz begründet. Da der Staat weder die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger noch Basisleistungen im Bereich von Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt garantieren kann und von Rechtsstaatlich- keit keine Rede sein kann, rechtfertigt es sich, von Honduras als failed state zu reden. Dass der Bruder des Präsidenten in den USA als Drogenhändler verurteilt wurde, passt in das Bild eines von der organisierten Kriminalität und dem Drogenhandel beherrschten Landes ebenso wie die putschverdächtige (vermutlich manipulierte) letzte Präsidentenwahl. Das Volk der Garífuna teilt die geschilderten Erfahrungen anderer Indigener Völker in den Nachbarstaaten. Seine Territorien sind bedroht von z.B. Tourismusprojekten internationaler Firmen sowie extraktive und umweltverseuchende Industrien. Selbst internationale Gerichtsurteile zum Schutz der Garífuna-Rechte werden ignoriert. Eine große Gefahr bilden die „Entwicklungszonen“ – riesige Gebiete, die die Regierung ausländischen Investoren und Investorinnen mit praktisch unbegrenzter Macht (Steuererhebung, Verwaltung, Justiz) überträgt. OFRANEH kooperiert mit Bewegungen und Netzwerken von Indigenen Gemeinschaften, Feministinnen und Bauernbewegungen. Frauen haben traditionell bei den Garífuna eine starke Stellung, besetzen Führungspositionen, integrieren sich in den allgemeinen Kampf und – wie Miriam Miranda unterstreicht – gebären nicht nur Kinder, sondern auch Ideen.

 

Aufzeichnung #4 A pesar de todo: Sindicalismo y Movimientos Sociales en América Latina