Die erste von fünf Veranstaltungen zum Thema Gewerkschaften und Soziale Bewegungen fand als Online-Konferenz am 20. Mai mit über 70 Teilnehmer:innen aus zehn Ländern statt. Unser Veranstaltungsrückblick.
Achim Wachendorfer skizzierte als Moderator der Diskussion eingangs das Konzept und das Gesamtprogramm dieser in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung gestalteten Reihe, die die Sichtweise und Erfahrungen der Akteur:innen aus den teilnehmenden Gewerkschaften und sozialen Bewegungen beleuchten wird. Gerade weil sich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen zumal während der Pandemie auf dem ganzen Kontinent verschlechtert haben, ist es besonders wichtig, innovative und zukunftsorientierte Ansätze auf regionaler, nationaler und lokaler Ebene darzustellen, um „trotz alledem“ den Kampf für eine nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung zu dokumentieren und zu fördern.
Álvaro Padrón, Ex-Vorstandsmitglied des PIT-CNT Uruguay, Ex-Koordinator der Vereinigung der gewerkschaftlichen Dachverbände des Cono Sur und aktuell im regionalen Gewerkschaftsprojekt der FES tätig, gab einen ersten Überblick über die Herausforderungen und Perspektiven der lateinamerikanischen Gewerkschaftsbewegung: Trotz aller spezifischer nationaler Unterschiede sind die Gewerkschaften in den meisten Ländern des Kontinents in der Defensive, was jedoch zugleich eine selbstkritische Analyse und innovative Reformvorschläge umso dringlicher macht, die auf Erneuerung und Modernisierung in den Organisations- und Mobilisierungskonzepten zielen. Das Verhältnis zur Politik und den Organisationen der Zivilgesellschaft, durch Globalisierung und Digitalisierung neue und von den Gewerkschaften mitzugestaltende Kommunikationsstrukturen, die Herausforderungen einer nachhaltigen ökosozialen Zukunft – der Katalog alter und neuer Aufgaben für die Gewerkschaftsbewegung des Kontinents ist umfangreich, dringend und
wird – das ist die gute Nachricht – praktisch angegangen.
Ein Beispiel dafür stellte Sol Verniers, Vorstandsmitglied und Koordinatorin der Beobachtungsstelle für Informatik- und Technologieentwicklung, mit der Unión Informática de Argentina vor. Eine neue Technologie mit eigener Produktionsorganisation stellt an gewerkschaftliche Interessenvertretung neue Fragen und konfrontiert sie auch mit einer neuen Klientel was Alter, Qualifikation, Arbeitskultur, Forderungen etc. betrifft.
Ähnlich „neu“ für die traditionelle Gewerkschaftsbewegung ist die Erfahrung mit dem Regionalen Einheitsverband für Märkte von La Paz, Bolivien (Federación Única Departamental de Mercados de la Paz). Nelly Salgueiro, Vorstandsmitglied für Organisation dieser Föderation, schilderte anschaulich die spezifischen strukturellen und alltäglichen praktischen Probleme der Organisierung in einem nicht traditionellen Bereich wie einem hauptstädtischen Markt. Die hier Arbeitenden müssen sich mit der Verwaltung, dem kommunalen Staat, auseinandersetzen, um ihre Interessen durchsetzen zu können.
Vertrauter aus eher klassischer Gewerkschafts-Perspektive erschien dagegen der Bericht von Jorge Peloche, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Handel und Dienstleistungen (FUECYS) und des gewerkschaftlichen Forschungs- und Bildungsinstituts Cuesta Duarte in Montevideo, Uruguay. Peloche beschrieb anhand der Situation und Praxis des uruguayischen
Gewerkschaftsdachverbandes PIT-CNT die Probleme zur Erhaltung von Gewerkschaftsmacht in einem feindseligen Umfeld. Festzuhalten ist dabei freilich, dass der PIT-CNT die vielleicht stärkste und erfolgreichste Gewerkschaftsbewegung Lateinamerikas repräsentiert mit eindrucksvollen Erfolgen in den letzten Jahren für die Beschäftigten und zugleich auch für die Demokratie in Uruguay. Diese Erfolge sind eng verbunden mit dem besonderen Verhältnis des PIT-CNT zur linken Regierung der Frente Amplio. Besonders wichtig dabei war und ist jedoch die Autonomie der Gewerkschaftsbewegung selbst gegenüber einer politisch-ideologisch durchaus befreundeten Regierung.
Die Darstellungen der Referent:innen wurden ergänzt in einer lebhaften Diskussion, in der zugleich deutlich wurde, dass trotz oder vielleicht gerade wegen der vier behandelten grundsätzlich recht unterschiedlichen Problem- und Praxisfelder Gewerkschaften in den verschiedenen Ländern und Sektoren durch ihre Ziele –wie eingangs erwähnt, soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung– solidarisch gemeinsam verbunden sind. Das war u.a. auch dadurch zu spüren, dass die Referent:innen auch untereinander ihre Erfahrungen austauschten und verglichen: Marktfrauen in La Paz und Beschäftigte des Informationssektors in Buenos Aires sind sich näher als man glaubt. Diese Gemeinsamkeit erfahrbar zu machen, also das breite Spektrum gewerkschaftlicher Interessenvertretung über Länder- und Beschäftigungssektoren hinaus als vielfältige Einheit aufzuzeigen, ist auch durchaus eine Intention der Diskussionsreihe, die mit der Auftaktveranstaltung, wie die Rückmeldungen zeigen, auch erreicht und wahrgenommen wurde.
Bericht von Albrecht Koschützke zur Veranstaltung #1 Trotz alledem: Gewerkschaften und Soziale Bewegungen in Lateinamerika in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 20.05.2021