Delegitimierung, Geopolitisierung und neue Tendenzen der internationalen Zusammenarbeit
Skript eines Vortrags in Brasilien am 15. April 2025 – deutsch und portugiesisch im Rahmen des Dialogs über Entwicklungszusammenarbeit von PAD/Brasilien organisiert
Luiz Ramalho, April 2025
Einleitung
Wir stehen vor einer historischen Zäsur in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Was einst als solidarisches Projekt gegen Armut und globale Ungleichheit und für eine nachhaltige Entwicklung gedacht war, steht heute massiv unter Druck.
Drei Entwicklungen prägen die aktuelle Lage:
- Die zunehmende Delegitimierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ)
- Ihre Instrumentalisierung als geopolitisches Machtinstrument
- Neue globale Dynamiken und Akteure, die die Spielregeln grundlegend verändern
Delegitimierung der Entwicklungszusammenarbeit
- EZ wird zunehmend infrage gestellt – sowohl von rechts, als auch von Akteur:innen des Globalen Südens.
- In Deutschland fordern politische Kräfte offen eine stärkere Ausrichtung an „nationalen Interessen“.
- Medienkampagnen stilisieren Entwicklungsprojekte als Geldverschwendung:
- Radwege in Peru, Gender-Trainings in China – Schlagzeilen ersetzen differenzierte Debatten.
- Gleichzeitig bröckelt in der Bevölkerung die Zustimmung zur EZ:
- Umfragewerte zeigen Rekordtiefs.
- Narrative wie „Deutschland zuerst“ gewinnen an Boden.
- Gefahr: EZ droht zum haushaltspolitischen Steinbruch degradiert zu werden.
Geopolitische Instrumentalisierung der Entwicklungszusammenarbeit
- EZ wird zunehmend zu einem Werkzeug geopolitischer Machtpolitik:
- Die EU nutzt Entwicklungshilfe zur Migrationskontrolle.
- USA unter Trump: Auflösung der USAID – Entwicklungszusammenarbeit als Nebenschauplatz.
- China positioniert sich als „Entwicklungs-Supermacht“ – Infrastruktur und Kredite statt Werteexport.
- Das BMZ versteht sich neuerdings als „Transformationsministerium“ – doch wessen Transformation? Wessen Interessen?
- Entwicklungspolitik folgt zunehmend den Logiken von Sicherheitspolitik, Rohstoffsicherung und Migrationsabwehr.
Neue globale Dynamiken – Die Post-DAC-Welt
- BRICS-Staaten und neue Geberländer stellen alte Entwicklungsregeln infrage.
- Süd-Süd-Kooperation gewinnt an Bedeutung.
- Partnerländer des Globalen Südens lehnen westliche Konditionalität ab – und suchen Alternativen.
- Der globale Wettbewerb um Einfluss, Rohstoffe und Investitionen wird schärfer.
- Entwicklungspolitik wird zum Schauplatz geopolitischer Rivalität – nicht mehr nur Ort globaler Solidarität.
Was ist zu tun? – Perspektiven für eine zukunftsfähige Entwicklungspolitik
a) Ehrlichkeit statt Schönfärberei
- Geopolitische Interessen benennen – aber nicht heuchlerisch verstecken.
b) Partnerschaft auf Augenhöhe
- Lokale Akteure stärken, Wissenstransfer fördern, echte Beteiligung ermöglichen.
c) Multilateralismus verteidigen
- Globale Regelwerke neu denken – aber gemeinsam, nicht über die Köpfe der Partner hinweg.
d) Öffentliche Debatte führen
- EZ muss sich dem politischen Streit stellen – aber mit besseren Argumenten.
Schlusswort
Die Entwicklungszusammenarbeit steht an einem Scheideweg: Entweder sie verkommt zur verlängerten Werkbank geopolitischer Interessen – oder sie erneuert sich als glaubwürdige, solidarische und partnerschaftliche Politik.
Diese Entscheidung wird nicht in Washington, Brüssel oder Berlin allein getroffen – sondern auch im Globalen Süden, dessen neues Selbstbewusstsein wir nicht unterschätzen sollten.
Zusammenfassung in 5 Bullet Points
- Delegitimierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ):
EZ wird politisch und medial zunehmend angegriffen — Vorwürfe von Verschwendung, Paternalismus und fehlender Wirkung nehmen zu, Zustimmung in der Bevölkerung sinkt. - Geopolitische Instrumentalisierung:
EZ wird immer stärker zum Machtinstrument — Migrationskontrolle, Rohstoffsicherung und außenpolitische Einflussnahme verdrängen Armutsbekämpfung und soziale Entwicklung. - Neue globale Dynamiken:
Der Aufstieg von BRICS+ und Süd-Süd-Kooperation stellt westliche Entwicklungslogiken infrage — Partnerländer fordern Augenhöhe und Selbstbestimmung. - Rückzug von Multilateralismus:
Nationale Interessen dominieren zunehmend die EZ — gleichzeitig geraten multilaterale Foren und globale Normen (SDGs, DAC) unter Druck. - Zukunftsperspektive: Entwicklungspolitik braucht eine Neuausrichtung: Ehrliche Interessenpolitik, partnerschaftliche Zusammenarbeit, Stärkung lokaler Akteure und Verteidigung globaler Solidarität.
Luiz Ramalho ist Vorsitzender des LAF Berlin e.V., Soziologe und unabhängiger Entwicklungsberater.