Militärs wieder auf dem Vormarsch in Lateinamerika

Rückblick auf  „Militarisierung in Lateinamerika“ am 25.6.2020 – eine Online-Kooperationsveranstaltung der Informationsstelle Lateinamerika ILA Bonn und Lateinamerika-Forum Berlin e.V. Schlaglichter von Werner Würtele zu den Beiträgen der Referent*innen: Gaby Küppers: „Gender und Militär“ bislang kaum beachtet Gaby Küppers berichtet einführend vom Vormarsch der Militärs in nahezu allen lateinamerikanischen Ländern, nun Corona beflügelt. Heute treten Militärs […]

Militärische Staatsstreiche der 70er Jahre in Südaamerika

Golpes Militares 1964-1976. Parque de la Memoria, Buenos Aires

Rückblick auf  „Militarisierung in Lateinamerika“ am 25.6.2020 – eine Online-Kooperationsveranstaltung der Informationsstelle Lateinamerika ILA Bonn und Lateinamerika-Forum Berlin e.V.

Schlaglichter von Werner Würtele zu den Beiträgen der Referent*innen:
Gaby Küppers: „Gender und Militär“ bislang kaum beachtet

  • Gaby Küppers berichtet einführend vom Vormarsch der Militärs in nahezu allen lateinamerikanischen Ländern, nun Corona beflügelt.
  • Heute treten Militärs weniger als „Retter des christlichen Abendlandes“, wie in Zeiten des Kalten Krieges auf, denn als Bekämpfer:in des Drogenhandels, der organisierten Kriminalität, von Migrant:innenströmen, und Helfer:innen bei Katastropheneinsätzen.
  • Das Thema „Gender und Militär“ wurde bislang kaum beachtet, dabei sind Frauen inzwischen in fast allen lateinamerikanischen Armeen integriert. Wichtiges Motiv: das Militär bietet Ausbildung und (sozialen) Aufstieg
  • Innerhalb der Linken gibt es die Diskussion: das Militär abschaffen oder im Sinne des „Marschs durch die Institutionen“ von innen verändern?

Roberto Frankenthal: „CIA und BND wussten genau über die Menschheitsverbrechen bescheid“

  • Robertos Eltern waren während des National-Sozialismus aus Deutschland nach Argentinien geflohen. Zur Zeit des Malwinen-Krieges (1982) war Roberto als Wehrpflichtiger beim argentinischen Militär. Mit ILA und der Argentinien-Solidarität ist er seit vielen Jahren verbunden
  • Roberto blickte zurück in die 70er Jahre, auf die Machtergreifungen durch die Militärs in nahezu allen südamerikanischen Ländern und die Rolle der Operation Condor, einer länderübergreifende Kooperation der Geheimdienste. Dass es auch damals bereits Fake news gab, erläuterte er am Falle der Operation Colombo, bei der 1975 119 Menschen ermordet wurden und die chilenische DINA  dies der linken Guerrilla in die Schuhe zu schieben suchte
  • Über die Terrorherrschaft der lateinamerikanischen Diktatoren waren die USA und die Bundesregierung bestens informiert, wie investigative Journalisten Anfang 2020 aufdecken konnten. Über das Schweizer Unternehmen Crypto AG hatten BND und CIA in den 70er Jahren manipulierte Verschlüsselungstechnik verkauft und so Zugang zur regierungsinternen Kommunikation der Käuferländer gewonnen. Bekannt wurde diese geheime Operation des BND und der CIA unter dem Begriff Rubikon.
  • Eine besondere Rolle spielte die argentinische Bundespolizei als Sicherungsgruppe der deutschen Botschaft. Ihr Chef Major Peirano 1977  horchte Angehörige deutschstämmiger und deutscher Verschwundener aus, vorgeblich um ihnen bei der Suche zu helfen.
  • Der verlorene Malwinen-Krieg bedeutete das Ende der Militärdiktatur. Die bestimmende Rolle, die die Militärs als Gegenpol zum Peronismus traditionell in der argentinischen Geschichte spielten, haben sie verloren wie auch ihr einstmaliges Ansehen in der Bevölkerung. Heute müssen sie mit reduziertem Budget und Personal leben. Stark wurde dagegen die Bundespolizei (gemacht).

Wachsender Einfluss. Militärs vor Kathedrale in Brasilia

Luiz Ramalho: „Das brasilianische Militär – faktisch wieder an der Macht“

  • Der Referent unterstreicht, dass das brasilianische Militär in der Geschichte des Landes stets präsent war
  • Der Militärputsch von 1964 diente den nachfolgenden Putschisten als eine Art „Blaupause“
  • Der Putsch wurde von den USA und ausländischen Investoren begrüßt, auch von der Bundesregierung.
  • Mit dem deutschstämmigen Präsidenten Geisel (1974-79) kam es zu einer gewissen Distanzierung gegenüber den USA (Jimmy Carter), dafür zu mehr Kooperationen mit Deutschland, damals sozial-liberal regiert, s. Atomabkommen 1975
  • 1985 traten die Militärs in Brasilien ab und „übergaben“ die Regierung an Zivilisten. Ein Unrechtsbewusstsein wegen der von den Militärs begangenen Menschenrechtsverletzungen kennt die Institution nicht. Im Gegenteil, sie feiern jährlich den Tag der Machtergreifung am 31.3.1964
  • Im Falle Brasiliens haben wir im Vergleich zu Argentinien eine bemerkenswerte Kontinuität: das Militär rangiert ungebrochen auf Platz eins bei den Umfragen zu den politischen Institutionen; die Schrecken verbreitende Militärpolizei wurde nicht abgeschafft, Folter ist bei Verhör:innen weiter üblich.
  • Bolsonaro lässt keine Chance entgehen, Diktatur und Folter zu verherrlichen. Seinem in den USA lebenden Guru Carvalho folgend, versucht er systematisch Institutionen zu schwächen bzw. gar zu zerstören. Er sagt dazu „von Kommunisten säubern“; er will neue eigene aufbauen
  • Um seine Macht abzusichern hat der ehem. Hauptmann Bolsonaro 10 der 22 Minister:innenposten mit Militärs besetzt; sein Vize ist ein General; über 3000 Militärs bekleiden hohe und höchste Ämter in Bundesbehörden
  • Paradox: er ist mit seiner Politik auf allen Gebieten – Gesundheit, s. Pandemie, Bildung, Sozialpolitik, Arbeitsplatzschaffung etc. – gescheitert doch steigen seine Werte: heute würden ihn nach Umfragen 37% wählen!
  • Das ausländische Kapital und die Banken und vor allem die Militärs stehen zu ihm, obwohl er ihr Image ramponiert; trotz seiner Kontakte zu milicias (Konkurrenz), und die Korruptionsverstrickung der Söhne, die sie nicht mögen. Der von Wirtschaftsminister Guedes vorangetriebene Ausverkauf von Staatskonzernen findet nicht ungeteilte Zustimmung. So hoffen manche auf das Militär als Vierte Gewalt, als  „poder moderador“. Vize General Mourao erscheint ausländischen Regierungen (wie der deutschen) im Vergleich zu Bolsonaro als seriöser Partner. Um das extreme Negativimage Brasiliens im Ausland wissen auch die Militärs. Und so organisieren sie öffentlichkeitswirksame Kampagnen z. B. gegen illegalen Holzeinschlag im Amazonasgebiet
  • In letzter Zeit haben sich Judikative und Kongress zu wichtigen Gegenkräften zur Regierung Bolsonaro entwickelt.
  • Aktuell: Aufstockung des Budgets für Militärausgaben. Hier

Simon Ernst: „Maduros wichtigste Stütze“

  • Bis 1920 war Venezuela ein extrem armes Land; dann kam der Erdölboom von dem ein gutes Viertel der Bevölkerung profitierte
  • Einher ging damit eine hohe Abhängigkeit von den US-Ölkonzernen und USA. Deren hohe Profite waren Schmiermittel für die US-Wirtschaft und Venezuela brachten sie eine auf die Erdölproduktion ausgerichtete Infrastruktur
  • Ab 1958 wechselten sich wie in den USA zwei Parteien an der Regierung ab. Erste Risse bekam das politische System mit der Erdölkrise

    Caracas historisch (1975)

  • 1998 wurde Hugo Chávez gewählt, der einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ propagierte – er wurde damit zum Hoffnungsträger mancher Linker
  • 2013 zu Zeiten des Todes von Chávez verschärfte sich die Wirtschaftskrise, hervorgerufen durch sinkenden Erdölpreis, US-Boykott und Missmanagement. Als Antwort auf die Krise kam es unter Maduro zur autoritären Wende und Massenflucht
  • Ähnlich wie in Brasilien aber unter anderen politischen Vorzeichen versucht Maduro seine Regierungsfähigkeit über die Unterstützung durch die Militärs sicherzustellen.
  • Regierung und Militär sind eng miteinander verflochten. Das Militär hat Zugriff auf Posten und Staatsfinanzen. Es gibt in Venezuela mehr Generäle als in ganz Rest-Lateinamerika zusammen
  • Außenpolitisch sucht Venezuela sich durch Verträge mit Russland, China, Türkei, Iran, und traditionell mit Kuba abzusichern. Die Auslandsschulden sind  gigantisch hoch. Venezuela hat große Probleme die Importe zu bezahlen – das Land produziert selbst nur wenig Nahrungsmittel, das Gesundheitssystem ist am Boden.
  • Hardliner in Venezuela fordern die militärische Intervention durch die USA. Diese aber zögern anscheinend aus Angst vor einem Bürgerkrieg vor der Haustür. Im Land selbst ist Trump noch verhasster als Maduro.

Zusammenfassung von Werner Würtele
Hat dieser Beitrag Ihr Interesse geweckt? Mehr dazu lesen Sie im ILA-Heft 436, Juni 2020. Und/oder schauen sie sich die Youtube-Aufzeichnung der Veranstaltung an.

Fotos: Werner Würtele