Glänzend auf dem Papier – Kinderrechte in lateinamerikanischen Ländern

Die Internationale Konvention zu Kinderrechten feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Treffend hierzu präsentierten am 21.2.2019 im LAF Tuline Gülgönen, Consultant, Felicitas Eser, GIZ, sowie Prof. Dr. Manfred Liebel, Kinderrechtsexperte, Entwicklungen im Bereich der Kinderrechte in den Ländern Mexiko, Honduras und Bolivien. Darüber hinaus wurde auch ein kurzer Blick auf Kinder und Jugendrechtsverletzungen in […]

Die Internationale Konvention zu Kinderrechten feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Treffend hierzu präsentierten am 21.2.2019 im LAF Tuline Gülgönen, Consultant, Felicitas Eser, GIZ, sowie Prof. Dr. Manfred Liebel, Kinderrechtsexperte, Entwicklungen im Bereich der Kinderrechte in den Ländern Mexiko, Honduras und Bolivien. Darüber hinaus wurde auch ein kurzer Blick auf Kinder und Jugendrechtsverletzungen in Chile und Brasilien geworfen. Zum roten Faden wurde das Recht der Kinder zur Partizipation erkoren.

Mexiko. Die Situation der rund 40 Millionen Kinder und Jugendliche in Mexiko – dies entspricht rund einem Drittel der gesamten mexikanischen Bevölkerung und in etwa der halben Bevölkerung Deutschlands – muss im Kontext der allgemeinen Gewalt und Krise der Menschenrechte im Lande betrachtet werden. Gewaltsames verschwinden lassen, Straflosigkeit bei begangenen Verbrechen oder aber auch die mangelnde Bewältigung der massiven Ungleichheit und die zum Teil existierende Komplizenschaft des Staates mit der Organisierten Kriminalität sind nur ein paar Beispiele, welche die Rechte der Kinder nachhaltig negativ beeinflussen. Dies lässt sich unter anderem an folgenden Zahlen illustrieren:

– Durchschnittlich kommen 94 Menschen täglich durch Gewalt ums Leben
– Von 2012 bis 2018 wurden über 125.000 Ermittlungen wegen Mordes eingeleitet
– Laut offiziellen Angaben sind über 7.000 Kinder verschwunden

Obwohl das OECD-Mitglied Mexiko in makroökonomischer Hinsicht als ein relativ wohlhabendes Land charakterisiert werden kann, lebt beinahe die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Dies betrifft demzufolge auch viele Kinder und Jugendliche. Laut UNICEF ist es vor allem der Mangel an sozialer Sicherheit unter welcher die Minderjährigen zu leiden haben. Mexiko hat zwar alle internationalen Verträge unterzeichnet und kommt den verpflichteten Berichterstattungen nach, so fehlte es in der Vergangenheit doch gewaltig an einer nachhaltigen Umsetzung, an finanziellen Mitteln und ausgebildetem Personal. Wo eine konsequente Politik notwendig gewesen wäre, kam es lediglich zu ad-hoc Maßnahmen als Reaktion auf tragische Vorfälle bei denen Kinder Schaden erlitten. Eines hält Tuline Gülgönen für besonders wichtig: Ein Umdenken bei den für Politik und Arbeit mit Kindern verantwortlichen. Diese sollten Kinder und Jugendliche nicht mehr als bloße Objekte der Fürsorge betrachten, sondern als Rechtssubjekte wahrnehmen. Abzuwarten bleibt, inwiefern die neue Regierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador in der Lage und willens sein wird, das Problem Verletzung von Kinderrechten in Mexiko wirksam anzugehen und zu beseitigen.

Aktionsplan. Unter Bezugnahme auf die Internationale Kinderrechtskonvention hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für den Zeitraum 2017 – 2019 den Aktionsplan „Agents of Change – Kinder- und Jugendrechte in der Entwicklungszusammenarbeit“ beschlossen. Vorgestellt wurde er von Felicitas Eser, in der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zuständig für Kinderrechte. In diesem Plan werden drei Ziele formuliert, die es zu erreichen gelte:

1. Qualitative und quantitative Ausweitung des Portfolios
2. Vorreiterrolle im internationalen Dialog
3. Unterstützung ausgerichtet auf kinderrechtliche Risiken und Potenziale sowie Interessen und Bedarfe der Partnerregierungen

Beachtliche 560 staatliche wie nicht staatliche Projekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weisen derzeit Bezüge zu den Kinder- und Jugendrechten auf. Fraglich allerdings, ob die Nischenrolle dadurch schon verlassen wurde, merkte ein Kritiker an.

Honduras. Wie der Aktionsplan in Praxis umgesetzt werden kann, zeigte Felicitas Eser anhand ihrer Mitarbeit in einem Kooperationsprogramm der GIZ mit dem honduranischen Bildungsministerium (APRDOE) auf. Dabei stand die Förderung der Schüler:innenbeteiligung an honduranischen Schulen im Mittelpunkt. Teil war ein Konsultationsprozess mit Kindern, der drei Leitfragen folgte:

– Wie stellt Ihr Euch die Schule Eurer Träume vor?
– Wie sollte Eure Partizipation in der Schule aussehen?
– Wie sollten Schüler:innenmitverwaltungen organisiert sein und funktionieren?

Ähnlich wie in Mexiko sind die Lebensumstände honduranischer Kinder und Jugendlicher geprägt durch eine für sie feindliche Umwelt, durch sexualisierte Gewalt, Drogen und Fremdbestimmung.

Kinder und Jugendliche müssen mitbestimmen können, wenn es um Themen geht, welche ihre Lebenswelt beeinflussen, so Felicitas Eser. Das Projekt in Honduras mündete in der Formulierung von materiellen wie immateriellen Forderungen der Kinder an das Bildungsministerium. Primera Dama und Bildungsminister griffen sie auf und sollen nun in 23.000 Schulen verwirklicht werden. Felicitas Eser ist auch Vorstandsmitglied beim Weltfriedensdienst.

Bolivien hatte vor fünf Jahren mit einem neuen Kinder- und Jugendgesetz eine internationale Kontroverse ausgelöst und war besonders bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auf heftige Kritik gestoßen, erläuterte Prof. Dr. Manfred Liebel. Das Gesetz, an dessen Ausarbeitung er beteiligt war, erlaubte Kinderarbeit unter bestimmten Bedingungen ab dem 10. Lebensjahr und sollte arbeitenden Kindern mehr Schutz gewähren. Das Gesetz sah vor, dass Kinder bei örtlichen Kinderschutzstellen, welche die Kinder bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen, eine Arbeitserlaubnis beantragen konnten. Diese wurde erteilt, wenn dabei die Rechte der Kinder auf Gesundheit, Bildung, Freizeit und angemessene Bezahlung sichergestellt waren und die Eltern der Arbeit ihrer Kinder zustimmten. Die ILO erkannte darin dennoch einen Verstoß gegen die Konvention 138, welche eine Erwerbstätigkeit erst ab 15 Jahren erlaubt. Die bolivianische Regierung verteidigte ursprünglich ihr Gesetz, da dieses sowohl der indigenen Traditionen als auch der kulturellen und sozialen Realität Rechnung trage. Bemerkenswert, dass es nicht zivilgesellschaftliche Gruppen oder die Regierung waren, welche dieses Gesetzesvorhaben angestoßen hatten, sondern die Initiative von bolivianischen Kindern selbst ausgegangen war. Ende 2018 allerdings wurde das Gesetz auf Druck der ILO und den USA umgeschrieben und in seinem Inhalt abgeschwächt. Die arbeitenden Kinder stehen nun wieder mit weniger Schutz da.

Das Thema Kinderarbeit wird international weiter kontrovers diskutiert, wobei beide Seiten gute Gründe für ihre Position anführen können: Die Mehrheit besteht unter Hinweis auf ausbeuterische gesundheitsschädigende Arbeitsverhältnisse auf dem generellen Verbot an Kinderarbeit, eine Minderheit plädiert für die Zulassung unter bestimmten Bedingungen. Prostitution, Kindersoldat:innen, Sklav:innenarbeit etc. lehnen beide Seiten ab. Solches sollte auch nicht als Arbeit“, sondern besser als das, was es ist, bezeichnet werden: als Verbrechen an den Kindern.

Brasilien und Chile. Schlaglichter auf die Situation von Kindern und Jugendlichen im Großraum Rio de Janeiro und in Chile warfen Lutz Taufer, der von seiner Tätigkeit als cooperante des WFD berichtet und die Präsidentin der Unión Nacional de exPrisoneros Políticos de Chile, Nelly Cárcamo, die gerade Deutschland besucht. Lutz Taufer berichtete davon, wie hochgradig gefährdet schwarze Jugendliche in brasilianischen Großstädten wie Rio sind, Nelly von katastrophalen Umständen in chilenischen staatlichen „Kinderschutzeinrichtungen“, in denen in wenigen Jahren über 1300 Kinder auf nicht geklärte Weise zu Tode kamen.

Resumée. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass es nicht an Gesetzen und Konventionen hinsichtlich der Kinderrechte mangelt. Unterzeichnet haben die meisten Länder die Konvention zu Kinderrechten, die USA bemerkenswerterweise nicht. In Sonntagsreden von Politiker:innen kommt sie auch gelegentlich vor, doch an der praktischen Umsetzung hapert es in der Regel gewaltig. Als Bezugspunkt für das Handeln hat sie ihre Bedeutung, doch erst, wenn die Kinder über mehr Macht verfügten, würde sich deren Situation verbessern, so eine der Schlussfolgerungen des Abends. Dazu bedarf es des Engagements aller Beteiligter, einschließlich Eltern, Lehrer:innen, zivilgesellschaftlicher Organisationen, politischen Entscheidungsträger:innen

Auch wenn über die Medien anders vermittelt: Es gab in den letzten Jahren durchaus Fortschritte auf dem Gebiet der Menschen- und Kinderrechte. Kriege, Armut und Klimawandel bleiben aber die großen Risikofaktoren, die die Schwächsten unter den Schwachen am meisten treffen, die Kinder. Es bedarf weiterhin gewaltiger Kraftanstrengungen bei der Durchsetzung der Kinderrechte. Hierzu dürfen wir nicht außer Blick lassen, dass unser Wohlstand in Europa auch zu Teilen auf Kinderarbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern beruht. Daher müsse es auch zu viel beschworenen Änderung in unserer „imperialen“ Lebens-, Produktions- und Konsumweise kommen. Die an die Präsentationen anschließende Diskussion war wiederum geprägt von hohem Ernst und Sachverstand.

Ein Beitrag von Dominik Götz, Praktikant des LAF. Mit Unterstützung von Werner Würtele

 

Download: Bericht von Dominik Goetz_und Werner Würtele

 

Beitragsbild: Louise Baumann, Bahia