Eine Gemeinschaftsveranstaltung des Lateinamerika-Forums Berlin e.V. und rbb-Inforadios
Das Podium „Endspiel um die Macht – die Krise in Venezuela und ihre Folgen“, wurde am 6.5.2019 aufgezeichnet und am Sonntag, den 12. Mai, 11 – 12 Uhr vom rbb-Inforadio ausgestrahlt.
Moderiert von Dietmar Ringel diskutierten Yasmin Fahimi, Bundestagsabgeordnete der SPD, stv. Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags und Vorsitzende der Deutsch-Brasilianischen Parlamentariergruppe, Dr. Claudia Zilla, Leiterin der Forschungsgruppe Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Schriftsteller, Übersetzer und Politikwissenschaftler Raul Zelik und die Venezolanerin Claudia Méndez, die an der Freien Universität Berlin Politik studiert.
Die zentralen Aspekte des Abends reichten von den Hintergründen des Konflikts über die Chancen eines Dialogs zwischen den Konfliktparteien, der Legitimität der beiden die Präsidentschaft beanspruchenden Präsidenten bis hin zur Ausstrahlung der Krise weit
über die Landesgrenzen hinaus. Yasmin Fahimi sprach sich für eine Politik der Vernunft aus, für Dialog und freie Wahlen und dass beide Seiten Provokationen unterlassen sollten; Claudia Zilla lenkte den Blick auf die anhaltende Stabilität des zivil-militärischen Regimes, Raul Zelik auf die strukturellen Ursachen der Krise und Claudia Méndez auf die Repression des „Regimes“ und humanitäre Katastrophe, die sie allein durch den Chavismo verursacht sieht.
Es ist der Fluch des Öls, der auf dem wohl erdölreichsten Land der Welt lastet, und der zu einer „Mentalität der Rentengesellschaft“ geführt hätte, analysierte Raul Zelik. Die Wurzeln des Konflikts können damit zurück bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, dem Beginn der Erdölförderung und Erdölabhängigkeit zurückverfolgt werden, sind struktureller Natur. Die wenigen Regierungen, die in der Vergangenheit versucht hatten, sich von dem Fluch zu lösen, schafften es nicht, die Wirtschaft zu diversifizieren, den Anteil an importierten Gütern im Verhältnis zur nationalen Produktion zu reduzieren.
Ob man den Chavismo („Wir sind gekommen, um zu bleiben“) als bloßen linken Populismus abtut oder als sozialpolitisches Projekt der materiellen und symbolischen Umverteilung von Reichtum sieht – alle sind sich einig, dass die Chávez-Regierung nicht die notwendigen nachhaltigen Investitionen vornahm, um die Abhängigkeit des Landes vom Erdölexport zu verringern. Im Gegenteil wurde diese Dependenz weiter verstärkt.
So wurde der Erdölpreisverfall ab 2014 dem Chavismo zum Verhängnis, nun unter der Regierung Maduro. Doch nicht nur. Heute wird deutlich weniger Öl gefördert als noch vor ein paar Jahren, auch eine Folge fehlender Modernisierungs- und Instandhaltungsinvestitionen und gravierender Managementfehler. Das Brutto-Inlandsprodukt sank auf ein Viertel des früheren Niveaus. Korruption blüht und Inflation geriet außer Kontrolle. Zudem gab die Regierung noch viel Geld für Waffenkäufe aus. Offizielle Zahlen aber gibt es seit einigen Jahren nicht mehr. Jeder hat so seine eigenen und setzt sie in der Diskussion nach Bedarf ein. Es ist schon sehr schwierig, sich ein realistisches Bild von der aktuellen Lage zu machen.
Raúl Zelik hegt grundsätzlich Sympathien für den chavismo. Dennoch sieht er Maduros Wirtschaftspolitik kritisch. Auch hätte Maduro mit seinem Vorgehen gegenüber der Opposition die demokratischen Institutionen beschädigt. Man dürfe aber nicht auf einem Auge blind sein. Die Opposition würde sehr aggressiv und rassistisch auftreten. Wiederum: wie kann man von einer Diktatur sprechen, so lange ein selbsternannter Präsident die Bevölkerung und das Militär offen zum Aufstand gegen eine gewählte Regierung aufrufen und sich frei bewegen kann?
Angesichts der verfahrenen Situation, der extremen Polarisierung der Gesellschaft, scheint ein friedlicher Ausweg weit in die Ferne gerückt. Guaidó, die traditionellen Eliten und die USA, setzen nicht (mehr) auf den Dialog, sondern hoffen, dass durch den Druck der Straße, die Sanktionen und vor allem eine Spaltung der Militärs Maduro aus dem Amt gedrängt werden kann. Eine Militärintervention wird von der US-Regierung immer öfters als „Lösung“ ins Spiel gebracht. Das aber geht selbst den rechtsgerichteten lateinamerikanischen Regierungen, die ansonsten Guiadó unterstützen, zu weit.
Der jüngste Versuch Guaidós, das Militär auf seine Seite zu ziehen, misslang kläglich. Noch immer hat der chavismo seine Anhängerschaft in der Bevölkerung, noch immer kontrollieren Maduro und die Militärführung (unterstützt von kubanischen Geheimdienstleuten) den gesamten Staatsapparat.
Claudia Méndez erkennt derzeit keine Anzeichen für eine Spaltung des Militärs. Zu groß sei bei diesen die Angst, bei einem Regimewechsel zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der Glaube an eine Amnestie, wie von Guiadó versprochen, sei zu gering, als dass genügend hochrangige Militärs zur Opposition überlaufen würden. Überhaupt ist sie der Überzeugung, dass es zwangsläufig auf den (militärischen) Sieg der einen und entsprechend auf die Niederlage der anderen Seite hinauslaufe. An einen Dialog glaubt sie nicht mehr, auch wenn dieser wünschenswert wäre.
Gewaltvolle Aussichten für die Zukunft des Landes. Die anderen Podiumsteilnehmer*innen betonen die Alternativlosigkeit zum Dialog. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Fahimi kann der aggressiven US-Politik nichts abgewinnen, im Gegenteil. Am besten sei es, wenn Venezuela und die lateinamerikanischen Länder (mit Mexiko, Uruguay als Vermittler) den Konflikt selbst lösen würden ohne Einmischung der USA, Russlands oder Chinas. Es sei nun von höchster Wichtigkeit, sich mit aller Kraft mit der Diplomatie für den Dialog zwischen Regierung und Opposition einzusetzen, um freie und faire Wahlen zu ermöglichen. Sie hofft dabei auf die Vermittlungsrolle der EU-Kontaktgruppe.
Claudia Zilla wirft ein, dass zunächst die Voraussetzungen für freie Wahlen geschaffen werden müssten. Dazu gehöre eine Machtumverteilung durch Beteiligung der Opposition an den politischen Institutionen.
Raúl Zelik hofft ebenfalls auf einen Dialog. Der Bundesregierung wirft er vor, sich zu schnell auf die Seite des selbsternannten Interims-Präsidenten Juan Guaido geschlagen zu haben. Damit habe Deutschland unnötig die Möglichkeit verspielt, eine Vermittlerrolle zwischen den Parteien einzunehmen, um auf eine friedliche Lösung hinzuwirken. Yasmin Fahimi erinnert, dass die Bundesregierung die letzten Präsidentschaftswahlen, wegen „Nicht-Freiheit“ und damit auch Maduro als Präsidenten nicht anerkannt hat.
Ein besonderer Kriegsschauplatz ist vor dem Hintergrund der dramatischen Versorgungskrise die Humanitäre Hilfe, die seitens der USA und Guiadó benutzt wird, um die Bevölkerung noch mehr gegen Maduro aufzubringen. Zilla kritisiert die neuen Sanktionen der USA, da sie nun nicht mehr nur hochgestellte Regierungsfunktionäre ins Visier nähmen, sondern die gesamte Wirtschaft und damit die Bevölkerung träfen.
Es ist bereits eine Stunde vergangen, als Moderator Dietmar Ringel die Gesprächsrunde für das Publikum öffnet. Wichtige weitere Aspekte des Konflikts werden dabei angesprochen, wie zum Beispiel die Massenflucht aus Venezuela und deren Auswirkungen auf die Region, aber vor allem auch auf die venezolanische Volkswirtschaft selbst, die massiv Fachkräfte verloren hat. Zudem wird das ressourcenbasierte Wirtschaftsmodell als eine Dauerfalle bezeichnet. Grundsätzlich seien die Chancen einer Diversifizierung der Wirtschaften in den rohstoffexportierenden Ländern sehr gering angesichts der Interessen der großen Industriemächte.
Bei aller Ratlosigkeit: die Hoffnung auf einen Dialog und eine friedliche Lösung des gewaltvollen Konflikts in Venezuela darf nicht aufgegeben werden. Darauf müssen alle Bemühungen gerichtet sein.
Ein Beitrag von Hannah Freist und Werner Würtele (LAF Berlin e.V.)
Die Veranstaltung wurde am Sonntag, den 12. Mai, von 11 bis 12 Uhr vom Inforadio des RBB ausgestrahlt. Machen Sie sich ein EIGENES Bild! Haben Sie die Lösung?
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