China und Lateinamerika: vielschichtige Beziehungen in Expansion

China und Lateinamerika: vielschichtige Beziehungen in Expansion: Letzte Meldung: Indigene Gemeinde blockiert Kupfermine Las Bambas (3.4.2019) Schlaglichter von Luisa Wiebrecht und Werner Würtele auf der Podiumsveranstaltung des LAF Berlin e.V.  am 4.10.2018 mit Diego Steinhöfel, Claudia Detsch und Dr. Werner Kamppeter. Moderation Prof. Dr. Klaus Bodemer. Welche Interessen verfolgt China in Lateinamerika? Was macht umgekehrt […]

China und Lateinamerika: vielschichtige Beziehungen in Expansion: Letzte Meldung: Indigene Gemeinde blockiert Kupfermine Las Bambas (3.4.2019)

Schlaglichter von Luisa Wiebrecht und Werner Würtele auf der Podiumsveranstaltung des LAF Berlin e.V.  am 4.10.2018 mit Diego Steinhöfel, Claudia Detsch und Dr. Werner Kamppeter. Moderation Prof. Dr. Klaus Bodemer.

Welche Interessen verfolgt China in Lateinamerika? Was macht umgekehrt China so interessant für lateinamerikanische Regierungen unabhängig von deren politischen Couleur? Unterscheiden sich chinesische Konzerne in Lateinamerika grundsätzlich von „westlichen“ etwa in der Respektierung von Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards? Ist Lateinamerika bereits aus der Abhängigkeit von den USA in die mit China geraten? Das waren einige der Leitfragen an diesem Abend.

Karte Peru

Einführend stellte Diego Steinhöfel eine der größten Kupferminen der Welt, Las Bambas, vor[1]. 2014 hatte ein chinesisches Konsortium – Hauptanteilseigner ist die staatliche Minerals and Metals Group MMG – die 35 000 Hektar große Mine zum Preis von rund sechs Milliarden US-Dollar vom Schweizer Multi Glencore/XTRATA gekauft. Bei der Übernahme waren bereits 70 Prozent der Anlagen erstellt. Jährlich sollen ca. 400.000 Tonnen Erz gefördert werden. Die vertraglich vereinbarten Schürfrechte laufen über 20 Jahre. Deutschland gehört zu den größten Importeuren von peruanischem Kupfer.

Las Bambas befindet sich ca. 70 km Luftlinie von der Andenstadt Cuzco im Bundesstaat Apurímac und zählt zu der größten „Bergbaufront“ im Süden des Landes. Weitere Minen sollen nach dem Willen der peruanischen Regierung noch dazu kommen. Die Region gehört zu den ärmsten Perus. Vor diesem Hintergrund setzte sich MMG offensichtlich zum Ziel, die Mine als Sprungbrett in die Region zu nutzen und zum Vorzeigeprojekt zu machen. Dazu passt, dass MMG internationale Vereinbarungen wie EITI und Global Compact mitunterzeichnet hat. Dabei verpflichten sich Multis zur Einhaltung von Arbeits- und Umweltnormen. Diesmal brachte der chinesische Konzern nicht wie bei früheren Vorhaben dieser Art die gesamten Arbeitskräfte aus China mit, sondern stützte sich auf nationale.

Challhuahuacha Apurímac

Das kleine Dorf in der Nähe der Mine wuchs rasant: von 300 Familien 2010 auf 20 000 Einwohner 2015. Die „umgesetzte“ Bevölkerung wurde finanziell entschädigt und zog in die Stadt. Mit dem Geld stiegen die vormaligen campesinos ins Dienstleistungsgewerbe ein und gründeten Wäschereien, Pensionen oder Restaurants.
Zu erheblichen Unruhen und Streiks kam es nach Fertigstellung der Mine im Jahr 2015, just in der Zeit als Diego Steinhöfel versuchte, Daten zusammenzutragen. Warum? Während des Baus der Mine zwischen 2011 und 2015 waren 18 000 Menschen beschäftigt, nach Beendigung wurden nur noch 3 500 gebraucht. Zur Konfliktschlichtung wurde eine mesa de desarrollo, ein sogenannter Runder Tisch eingerichtet. Arbeitsplätze wurden gefordert und Verträge für die Klein-UnternehmerInnen zum Schutz vor unliebsamer Konkurrenz von außen. Das chinesische Unternehmen verwies auf den Staat, bot dann aber selbst auch Weiterbildungsprogramme, Ausbildungsplätze für Kinder von Bauern und ein Aufforstungsprojekt an. Aus den zu erwartenden royalties finanzierte der Staat den Bau von Schulen und Sozialeinrichtungen. Ob das Projekt nachhaltigen Gewinn für die Region gebracht hat, bleibt ungewiss. Bestimmte Probleme wurden nicht gelöst, nur vertagt. Letztlich verhielt sich der chinesische Konzern auch nicht anders als seine westlichen Pendants – profitorientiert. Aufgrund Jahrehunderte langer Erfahrungen hegt die Bevölkerung ein tiefes Misstrauen nicht zu unrecht gegenüber allem, was von außen kommt.

Mesa Redonda

Nach der Präsentation des Falls Las Bambas erweiterten Bodemer, Detsch und Kamppeter zusammen mit dem Publikum den Blick auf die vielschichtigen Aspekte in den Beziehungen zwischen China und Lateinamerika. Chinas will China einerseits industrielle Fertigwaren exportieren, doch mehr noch den eigenen Bedarf an Nahrungsmitteln und Rohstoffen sichern. Neuerdings wird dieses Interesse ergänzt über den verstärkten Kauf von Land („grabbing“), Minen und Produktionsstätten, durch Investition in riesige Infrastrukturprojekte wie Staudämme, Hafen- und Eisenbahnprojekte. Lateinamerikanische Regierungen wiederum lechzen nach ausländischen Investoren und Deviseneinnahmen, die sie zum Kauf von dauerhaften Industriegütern, die im Land nicht hergestellt werden, benötigen. Dabei suchen sie ihre Abhängigkeit von den USA zu reduzieren und ihre Außenbeziehungen zu diversifizieren. Lateinamerika gerät damit immer tiefer in die Primärgüterfalle, wie Klaus Bodemer feststellte. Dazu leisten auch wir unseren Beitrag: China kauft nicht alleine argentinisches und brasilianisches Soja (z.B.), wir auch.
Um in Lateinamerika noch besser Fuß zu fassen, kommt China Trumps Politik sehr gelegen. Dabei ist China bemüht, in Lateinamerika nicht als aggressiver Partner zu erscheinen, sondern eher als einer, der nicht ständig wie die westlichen Länder, IWF und Weltbank, auf die Einhaltung von Menschenrechten pocht.

Bergbauriese MMG weltumspannend

Chinas Ambitionen sind weltumspannend: angefangen von der sog. Neuen Seidenstraße von Shanghai nach Duisburg, über die „Maritime Pazifische Seidenstraße“ bis hin zum Atlantik und Pazifik reichenden Bioceánico, eine Verbindung von Brasilien über Bolivien nach Peru. Umweltaktivisten schwant Unheilvolles.
Unübersehbar: das chinesische Entwicklungsmodell ist, so Werner Kamppeter, nichts anderes als das kapitalistische, westliche, nur dass dahinter ein noch viel mächtigerer Staat steht als im Westen (USA mal ausgenommen). Es hat aber auch Grenzen: die ersten Länder sind nicht in der Lage, die Kredite an China zurückzuzahlen. Sri Lanka gehört dazu, Venezuela und Ekuador haben über Jahre hinaus ihre gesamte Erdölproduktion an China verkauft.

Das Interesse der USA und Europas an Lateinamerika hatte schon vor Trump abgenommen. Dagegen ist das chinesische, wie es in der Belt-and-Road-Initiative mit ihren fünf Säulen zum Ausdruck kommt, gewachsen. Neben Infrastrukturentwicklung, Investitionen und Handel, sowie Kreditvergabe werden dort auch die politische und kulturelle Zusammenarbeit genannt. Besondere Beziehungen unterhält China – zusammen mit Russland – zu Kuba, Venezuela und Nicaragua, was den USA überhaupt nicht gefällt. Die Isolierung Taiwans zeigt Früchte. Weitere Länder haben die Botschaften Taiwans geschlossen und solche der Volksrepublik eröffnet, zuletzt Panama und Dominikanische Republik.
Außenpolitik ist für China Außenwirtschaftspolitik. Dabei verfolgt das Land auch in Lateinamerika einen pragmatischen Kurs „auf Augenhöhe“. Augenhöhe? Bei solch unterschiedlich starken Partnern kann es keine Augenhöhe geben. Schwächen wurden in der Diskussion an verschiedenen Stellen ausgemacht: die lateinamerikanischen Regierungen müssten sich bei Normverletzungen wehren, sind aber zu schwach. Die europäischen Regierungen müssten, um glaubwürdig zu sein, endlich den Vertrag zur verpflichtenden Einhaltung von Menschenrechten in Multis unterzeichnen (s. Treaty Alliance), meinte Claudia Detsch, sind aber angesichts der Multi-Lobby zu schwach.
Wenn auch chinesische Konzerne sich von westlichen nicht wesentlich in ihrem oft gewerkschaftsfeindlichen Verhalten unterscheiden, so gibt es doch einen Unterschied: hier in Deutschland findet sich eine aktive kritische Zivilgesellschaft, die Machenschaften der Mutterhäuser öffentich machen kann – und unabhängige und starke Gewerkschaften und Betriebsräte. Ob sie ihren Einfluss zur weltweiten Durchsetzung von Menschen- und Arbeitsrechten immer und genügend nutzen, steht auf einem anderen Blatt.

Bergbaufront Süd-Peru

Nachtrag: Der Titel „China erobert Lateinamerika“ klinge nach „gelber Gefahr“, kritisierte ein Gast. Die Veranstalter entgegneten, dass primär die ökonomische Eroberung gemeint war. Und die gibt es tatsächlich, in Asien, Afrika, Lateinamerika. China ist inzwischen größter Handelspartner für Brasilien, Chile, Uruguay und Peru, bei fast allen anderen Ländern liegt China (noch) auf Platz zwei.

 

 

„Las Bambas oder wie China Lateinamerika erobert“. Veranstaltung des Lateinamerika-Forums Berlin e.V. am 4.10.2018. Bericht von Luisa Wiebrecht und Werner Würtele

Fotos: Diego Steinhöfel

Lesetipps:
Claudia Detsch, Geostrategische Scharmützel im Hinterhof der USA? In Lateinamerika wächst die Bedeutung Chinas und Russlands, FES Perspektive April 2018
Claudia Detsch, Road Trip. What will be the environmental, economic and social footprint of Chinese involvement in Latin America? IPG 8.5.2018
Strategic Newsletter, Kurzfassung, Jhg. 31, Nr. 35, 29.8.2018, „BRI gewinnt Zulauf in Mittelamerika“
Knut Henkel, Bergbau unter Ausnahmezustand, taz 21.9.2018

[1] Während eines dreimonatigen Forschungsaufenthalts (Masterarbeit) in der Region Apurímac spürte Diego Steinhöfel dem Verhalten des chinesischen Bergbauriesen nach: wird er den selbst gesetzten Zielen im Sinne von Corporate Social Responsability gerecht? Wie war sein Umgang mit der Lokalbevölkerung, wie verhielt er sich bei Konflikten?  Dazu führte er 43 Interviews mit unterschiedlichen Akteuren durch.