Rückblick auf Vortrag von Lutz Taufer am 31.3.2016 in Kooperation mit dem WFD e.V.
Afrobrasilianische Jugendliche in Rio – Ziele polizeilicher Gewalt. Mit und ohne Olympische Spiele: sog. „illegale Tötungen“ afrobrasilianischer Jugendlicher der Favelas von Rio de Janeiro haben lange Tradition. Die Mörder:innen finden sich in einem Milieu aus organisierter Kriminalität, Drogenmafia (narcotráficos) – und der Polizei. Oft handelt es sich bei den chacinas (Gemetzel) unter den Jugendlichen um Racheakte der Polizei, Auftraggeber:innen können dabei durchaus ehrenwerte Bürger:innen sein. Auch die Olympischen Spiele dienen heute als Vorwand für „Säuberungen“. Aus der Perspektive des asfalto, d.h. der Mittelschicht, die in asphaltierten Stadtteilen lebt, sind die Bewohner:innen der Hügel (morros) alle Kriminelle, die es gnadenlos zu bekämpfen gilt.
Die narcotráficos verfügen über riesige Gelder, mit denen sie die Wirtschaft unterwandern, aber auch Polizei und Politik zu kaufen verstehen. Das ist bekannt. Ein oft unterschätzter Aspekt aber: in den Favelas spielt sich die Drogenmafia als Ordnungsmacht und Wohltäterin auf, offeriert Dienstleistungen, die der Staat nicht bietet. So gewinnt die organisierte Kriminalität die Sympathien gar mancher Bewohner/innen, die eher in der Polizei die Gefahr als bei den narcotráficos sehen. Ist die „Ordnungsmacht“ nämlich einmal weg, so kehrt (noch mehr) Unsicherheit im morro ein.
Die Vereinten Nationen und Amnesty International berichten von systematischen Morden und zeigen anhand von Statistiken das Ausmaß der Gewalt. Sind die Mörder Polizisten, so kommen sie meist straffrei davon. Es war eben nur Notwehr. Diesem unhaltbaren Zustand – auch schädlich für das Image Brasiliens im Ausland – begegnete die Regierung mit Blick auf Fußball WM und Olympische Spiele mit einem Programm zur Befriedung der Favelas nahe der Sportstätten. Die verstärkte Präsenz der sog. Befriedungspolizei UPP bewirkte dort tatsächlich zunächst einen deutlichen Rückgang der Mordrate. Inzwischen aber haben die narcotráficos in Teilen wieder ihr Terrain zurückerobert – und die Mordrate steigt.
Unterstützt von fortschrittlichen Nicht-Regierungsorganisationen wollen viele Bewohner/innen – vor allem engagierte Frauen und Mütter – diese Situation nicht als gottgegeben hinnehmen. Sie fordern die Demilitarisierung der Polizei (genauer der Polícia Militar), und versuchen ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, organisieren Stadtteilkomitees, holen die Jugendlichen z. B. über Freizeitangebote und Berufsbildungskurse von der Straße.
Partizipative Gemeinwesensentwicklung in Armenvierteln des Großraums Rio zu unterstützen, das ist der Ansatz des Weltfriedensdienstes (WFD) wie früher des Deutschen Entwicklungsdienstes. Acht Jahre hatte Lutz Taufer, heute Bildungsreferent und Vorstandsmitgliedes des WFD, als WFD-cooperante im armen Município São Gonçalo im Umfeld Rios gearbeitet. Gespickt mit Daten, Fakten, Fotos aber vor allem über seine eigenen Erfahrungen verstand es der Referent, uns das dramatische Schicksal afrobrasilianischer Jugendlicher näherzubringen. Aber auch, wie Bewusstseinsbildung und Organisation, Bildung und einkommensschaffende Maßnahmen den gefährdeten Jugendlichen Perspektiven in eine bessere Zukunft eröffnen können.
Eine Kooperationsveranstaltung des Lateinamerika-Forums Berlin e.V. mit dem Weltfriedensdienst e.V.
Rückblick von Werner Würtele
Foto Credits: dany13, flickr, CC BY 2.0