Ein Bericht von Werner Würtele – LAF Berlin e.V.
Nein, die beiden Minister haben die Lage Brasiliens nicht schöngeredet. Sie stellten heraus, in welch katastrophalem Zustand die von der PT Arbeiterpartei (PT) geführte Regierung das Land nach Bolsonaro vorfand und dass sich viele Probleme nicht von heute auf morgen lösen lassen. Immerhin: man musste nicht bei null anfangen. An vielen Initiativen und Programmen der drei früheren Regierungszeiten der PT konnte angeknüpft werden, so z.B. an das Programm zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus, an Stipendienprogramme für die arme Bevölkerung, das sogenannte Bolsa Família etc.). Die beiden Minister überzeugen rhetorisch und inhaltlich.
Der Arbeitsminister weiß, wovon er spricht. Zuvor war er Vorsitzender der Metallgewerkschaft von São Bernardo do Campo, dann Vorsitzender des Nationalen Dachverbands der Gewerkschaften (CUT) und schließlich Bürgermeister von São Bernardo do Campo. Er berichtete von ersten Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Der Mindestlohn wurde deutlich angehoben.
Nur randlich erwähnten die beiden Minister, ein Thema, das besonders in Deutschland von Interesse ist, so wir an Brasilien denken: die brutale Vernichtung weiter Teile Amazoniens, die unter der Vorgängerregierung Bolsonaro nie gekannte Dimensionen angenommen hatte. Hier konnten die Minister über Fortschritte bei der Eindämmung des Raubbaus informieren, was insbesondere durch die Stärkung der Umweltschutzbehörde IBAMA gelang. Neben dem Umweltministerium, wieder besetzt mit Marina Silva, gibt es nun auch ein Indigenen-Ministerium mit der uns wohlbekannten Indigenen Ministerin Sônia Guajajara. Sind gewisse Erfolge bei der Eindämmung des illegalen Holzeinschlags in Amazonien feststellbar, so ist gleichzeitig eine Zunahme der Abholzungsrate in anderen ökologischen Hotspots zu verzeichnen (s. Cerrado, Pantanal, Mata Atlântica).
Seit einigen Jahren braut sich ein Riesenunheil über Amazonien und der gesamten Süd-Ost-Region mit all seinen Auswirkungen zusammen: Im Regenwald regnet es immer weniger. Der Amazonas hat einen Wasserpegel derzeit von 13m unter Normal.
Nicht zur Sprache kamen an dem Abend verständlicherweise außenpolitische Themen: die Haltung Brasiliens zum Russland-Ukraine-Krieg, zum Konflikt im Nahen Osten und vor allem das Freihandelsabkommen MERCOSUR-EU. Scholz und Lula würden gerne das Abkommen noch unterzeichnen, bevor der argentinische Amtsbruder Milei die Zügel in die Hände bekommt. Doch da sind noch die Interessen der französischen Bauer:innen und auch in Brasilien gibt es nicht nur Zuspruch, ganz zu schweigen vom Widerstand europäischer NGOs.
Der Besuch der vielköpfigen und hochrangig besetzten Delegation fand auch mit Blick auf die COP 30 statt, die 2025 in Belém ausgerichtet wird.
Allein gemessen an den vielen unterzeichneten Regierungsvereinbarungen war der brasilianische Besuch ein voller Erfolg.
Als klar war, dass Lula die Stichwahl gegen Bolsonaro gewonnen hatte, gab es viele Stimmen, die der Regierung größte Probleme prophezeiten. Nie war die brasilianische Gesellschaft so gespalten, so voll mit Hass, wie unter Bolsonaro. Bolsonaro, der das Militär durch Stellenbesetzung zu einer Machtstellung verholfen hatte, wie sie Brasilien seit der Militärdiktatur nicht mehr erlebt hatte. Bemerkenswert, wie wenig man hier in Deutschland heute von der gespaltenen Gesellschaft hört.
Das Wahlvolk hat zwar Lula gewählt, aber nicht den dazu gehörenden Unterbau. Die rechte Opposition dominiert nicht nur das Parlament und den Senat, sondern gewann auch die meisten Gouverneursposten der 26 Bundesstaaten sowie des Bundesdistrikts Brasilia.
Um eine Regierung auf die Beine zu stellen, musste Lula eine Vielzahl anderer Parteien an der Regierung beteiligen, war eine ganz große Koalition angesagt. Wie lässt es sich mit 37 Minister:innen und all ihren Fliehkräften regieren?
Dass es ein eigenes Ministerium zur Kommunikation mit den NGOs der Zivilgesellschaft gibt, ist schon ein Zeichen, dass man die Anliegen und Erfahrungen der „Zielgruppen“ ernst nehmen möchte. Auf alle Fälle wäre die Regierung diesmal mehr bedacht, ihre Erfolge angemessen zu vermitteln, ist auf eine Frage hin zu vernehmen (Stichwort: Social Media).
Lula war zwar physisch nicht im Raum, aber in den meisten Beiträgen spielte er eine indirekte, wenn nicht gar direkte Rolle. Lula mit seinem Verhandlungsgeschick nach innen wie nach außen. Dabei ist Lula kein einfacher Verhandlungspartner. Lula weiß sehr wohl bei allem companheiro hier, companheiro da, wann es gilt, die notwendige Distanz zu wahren.
Beitragsbild: Suely Torres; von links nach rechts: Luiz Marinho (Arbeitsminister), Paulo Pimenta (Minister für soziale Kommunikation), Luciano Magalhães (Brasilianische Botschaft), Luiz Ramalho (Moderation/LAF Berlin e.V.).