Zwischen Werteorientierung, Sicherheitslogik und Interessenpolitik
Ein Kommentar von Luiz Ramalho und Erik Bergmann | Mai 2025
Die Regierungserklärung von Reem Alabali-Radovan (SPD), der neuen Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, markiert einen politischen Wendepunkt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Sie will das BMZ „neu aufstellen“
– mit einem Fokus auf Sicherheit und Migration. Ihre Antrittsrede im Bundestag verdeutlicht: Entwicklungszusammenarbeit wird künftig noch stärker als Teil eines strategischen Dreiklangs von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gedacht. Doch ob dieser sicherheitspolitische Zugriff mit dem bisherigen Anspruch wertebasierter globaler Gerechtigkeit vereinbar ist, bleibt fraglich.
Fokussierung statt Vision – eine unvollständige Agenda
Alabali-Radovan kündigte eine „Fokussierung“ der EZ an, ohne jedoch konkrete Maßnahmen zu benennen. Auffällig ist, was sie nicht erwähnte: Feministische Entwicklungspolitik, der Klimawandel oder wirtschaftliche Partnerschaften – alles zentrale Aspekte ihrer Vorgängerin Svenja Schulze – fanden keine Erwähnung. Auch der wirtschaftliche Nutzen der EZ für Deutschland, etwa durch Rohstoff- und Energiepartnerschaften oder Unterstützung deutscher Unternehmen, wie im Koalitionsvertrag betont, blieb außen vor.
Gleichzeitig bekannte sich Alabali-Radovan zur internationalen Verantwortung Deutschlands, insbesondere mit Blick auf den Nahostkonflikt und multilaterale Zusammenarbeit. Eine geplante Nord-Süd-Kommission soll neue Beziehungen zum Globalen Süden auf Augenhöhe ermöglichen – doch ob diese Kommission mehr wird als symbolische Geste, bleibt offen.
Die haushaltspolitische Realität: Werte mit Rotstift
Die Ministerin sprach davon, dass die EZ „neu gedacht“ werden müsse, doch der finanzpolitische Kontext lässt wenig Spielraum: Massive Kürzungen im Haushalt stehen bevor. Damit wächst der Widerspruch zwischen normativer Rhetorik und realer Ressourcenverteilung. Diese Spannung kritisierten insbesondere Grüne und Linke. Claudia Roth warnte vor einer „Instrumentalisierung der Entwicklungspolitik“ für migrationspolitische Abschottung, und die Abgeordnete der Linken Charlotte Neuhäuser sprach von einer „Festung Europa“, die ihre Abschottung mit Entwicklungsgeldern absichere.
Koalitions- und Oppositionslinien: Interessen, Kritik, Polarisierung
Die Union (CDU/CSU) unterstützt eine stärker interessengeleitete Ausrichtung der EZ, betont aber zugleich die Verbindung zu wertebasierter Politik. Andreas Jung hob beispielsweise das Potenzial von Wasserstoffpartnerschaften und Rohstoffzugängen hervor. Diese Linie – nationale Interessen unter dem Mantel globaler Verantwortung – trifft auf Zustimmung in Teilen der Regierungskoalition, etwa bei migrationspolitischer Kooperation mit Drittstaaten.
Die Grünen fordern hingegen eine Rückkehr zur menschenrechtsbasierten und feministischen EZ und verweisen auf Deutschlands Verpflichtung zum 0,7-Prozent-Ziel, die Vorgabe von 1970 der UN, dass Geberländer 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für offizielle Ausgaben für Entwicklungshilfe verwenden sollen. Claudia Roth kritisierte, dass dieses Ziel im Koalitionsvertrag nicht mehr erwähnt wird – ein „gefährliches Signal“ angesichts globaler Krisen.
Die Linksfraktion äußerte sich grundsätzlicher: Sie verurteilt die ökonomische und geopolitische Vereinnahmung der EZ durch Kapitalinteressen. Unfaire Handelsabkommen, Ressourcenkonflikte und globale Ungleichheiten seien systemische Ursachen von Armut, Hunger und Flucht – und müssten im Zentrum einer gerechteren EZ stehen.
Die AfD hingegen lehnt Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich ab. Markus Frohnmaier forderte die Abschaffung des BMZ, für die Außenaufgaben reiche das Auswärtige Amt, und die Rückführung aller Mittel ins Inland. Die EZ diene nur der „Verschwendung von Steuergeldern im Ausland“ – ein nationalistisches Narrativ, das internationale Solidarität als Bedrohung darstellt.
Fazit: Zwischen Anspruch und sicherheitspolitischer Realität
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit steht am Scheideweg. Der Anspruch, globale Verantwortung zu übernehmen, bleibt rhetorisch bestehen. Doch die realpolitischen Verschiebungen sind deutlich: Sicherheit und Migrationssteuerung rücken ins Zentrum, während langfristige Nachhaltigkeitsziele, feministische Ansätze oder gerechter Welthandel an Bedeutung verlieren. Damit droht eine zunehmende Instrumentalisierung der EZ als geopolitisches und migrationspolitisches Werkzeug.
Umso wichtiger ist es, dass zivilgesellschaftliche Akteure, Parlamente und internationale Partner Druck ausüben: Für eine Entwicklungszusammenarbeit, die menschenrechtsbasiert, partnerschaftlich und global gerecht bleibt – jenseits nationaler Abschottungsphantasien und kurzfristiger Interessenpolitik.
Beitragsbild: Deutscher Bundestag/ Fotograf:in: Jörg Carstensen / photothek