Guatemala zurück in die Diktatur? Schlaglichter aus einer LAF-Veranstaltung am 19.9.2019

Da stehen einem die Haare zu Berge, liest man den Bericht der UN-Kommission zur Korruptionsbekämpfung, CICIG[1], „El estado capturado“ zu Guatemala (Moderatorin Dr. Juliana Ströbele-Gregor) Der noch bis Ende 2019 amtierende Präsident Jimmy Morales kam 2015 auf einer Welle des Protests gegen die überbordende Korruption ins Amt, die seinem Vorgänger das Amt kostete. Morales, ein […]

Da stehen einem die Haare zu Berge, liest man den Bericht der UN-Kommission zur Korruptionsbekämpfung, CICIG[1], „El estado capturado“ zu Guatemala (Moderatorin Dr. Juliana Ströbele-Gregor)

Der noch bis Ende 2019 amtierende Präsident Jimmy Morales kam 2015 auf einer Welle des Protests gegen die überbordende Korruption ins Amt, die seinem Vorgänger das Amt kostete. Morales, ein Schauspieler und Komödiant, krasser Außenseiter, vermochte sich bei seinem Publikum erfolgreich als Vorkämpfer gegen die Korruption zu verkaufen:

Ni corrupto, ni ladrón!

vo re: M. Reischke, J. Ströbele-Gregor, I. Reyes, A. lo Grasso

Der UN-Kommission stand er anfangs positiv gegenüber, was sich änderte als diese auch gegen Familienangehörige von ihm und ihn selbst Nachforschungen anstellte. Den Chef der UN-Mission erklärte er in Folge zur persona non grata, einer Staatsanwältin wurde die Kandidatur verwehrt.

Wahlen 2019. Die Stichwahl in der extrem zersplitterten Parteienlandschaft Guatemalas konnte am 11. August Alejandro Giammattei für sich entscheiden. Sein Sieg reihte sich damit ein in den lateinamerikanischen Rechtstrend der letzten Jahre.  Die rechten Parteien hatten beschlossen, einen Politiker der 4. Reihe, zu unterstützen. Sie diffamierten dessen Gegenkandidatin und ehem. First Lady Sandra Torres, die nicht der guatemaltekischen Elite entstammt, als Kommunistin, die gewählt, Guatemala venezolanische Verhältnisse bringen würde. Ähnlichkeiten mit Brasilien?
Der ultrakonservative Giammattei ist der Mann der Militärs. Er steht einer Minipartei vor, d.h. er ist auf andere Parteien im Parlament angewiesen – und entsprechend erpressbar. Es werden ihm Kontakte zum Narcotráfico nachgesagt, er gilt als Hardliner, will die Todesstrafe wieder einführen.

Allgemein rechnet El Colectivo Voces en Berlin mit einem deutlichen politischen Rückschritt in Guatemala. Nicht wenige sehen Guatemala heute auf dem Weg zurück in die Militärdiktatur.

Trump erklärte Guatemala zum sicheren Drittstaat, um eine Barriere gegen Flüchtlinge aus Zentralamerika aufzubauen. Um den Vertrag zwischen diesen ungleichen Partnern ranken sich allerlei Gerüchte, zumal er nicht veröffentlicht wurde. Haben die USA Beweise der Verstrickung von Morales ins Narco-Geschäft? Eines ist nun wirklich sicher: Guatemala hat keinerlei Infrastruktur, um Flüchtlingsmassen aufzunehmen.

Momentan ist im Kongress ein Amnestiegesetz zur Verabschiedung, der auch die amnestieren würde, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Noch hält die Generalstaatsanwaltschaft dagegen. Mit einem anderen Gesetz sollen die NGOs an die Leine genommen werden.

Warum gab es zu Nicaragua und El Salvador in den 70er/80er Jahren so eine breite internationale Solidaritätsbewegung und zu Guatemala zu keiner Zeit? Die Referenten sehen Gründe in der Vielfalt an Ethnien, die sich z.T. bekämpfen, und in der Angst verbreitenden politischen Gewalt von oben.
Extreme Ungleichheit und Klima der Gewalt. Das Drama begann 1954 als der gewählte Präsident Arbenz auf Betreiben des Bananenkonzerns United Fruit (heute Chiquita) durch eine US-Militärintervention aus dem Amt gejagt wurde.  Der 32-jährige Krieg hat fatale Folgen hinterlassen. So gehört Guatemala weiter zu den ärmsten Ländern der Region mit höchster Gewaltrate, ist gekennzeichnet durch heftige Landkonflikte.

Wohl gibt es eine Vielzahl an kombativen  Bauernorganisationen, die aber gespalten nur begrenzt politisch wirksam werden. Die guatemaltekische Gesellschaft ist zutiefst konservativ, das Land kannte nie eine Agrarreform. Arbenz stand für eine solche, weshalb er beseitigt werden musste. Wie eh und je stehen wenige Großgrundbesitzern, reich durch Kaffee, Holz und heute auch Palmöl, einer Masse an armen Kleinbauern und Landarbeiter/innen gegenüber.

Indigene Anführer/innen werden in letzter Zeit immer häufiger diffamiert – und danach ermordet. Auch die NGOs und Umweltschützer/innen bleiben von Anfeindungen der Regierung nicht verschont. So richtet sich der über ein großes Gebiet gerade verhängte Ausnahmezustand auch gegen sie durch Einschränkung ihrer Rechte. Die Verfolgung von Drogendealern muss dazu herhalten, um militärische Einsätze zu begründen. Ziel ist aber eher, Angst und Schrecken in der Zivilgesellschaft zu verbreiten. So unter Fischern, die die Verschmutzung der Gewässer durch den Bergbau, hier eine Nickelmine, beklagen. Indigene sagen: „Wir haben kein Recht, Rechte zu haben“.
Die Bevölkerung Guatemalas hat die ihr in Jahrzehnten Militärdiktatur zugefügten Traumata noch lange nicht überwunden. Das Klima der Gewalt ist neben der Armut genug Grund, das Heil in den USA zu suchen.

Düstere Aussichten

In der Diskussion wurde nach verschiedenen politischen Akteuren und ihre Bedeutung gefragt, so nach der Rolle der Kirche(n). Positiv ist die Einrichtung eines Kardinalsposten und dessen soeben erfolgte Besetzung mit Alvaro Ramazzini („dem roten Bischof“)  [2] durch Papst Franziskus zu vermerken. Die katholische Kirche aber ist gespalten, der reaktionäre Teil lehnt den Kardinal rundweg ab.  US-Evangelikale Religionsgemeinschaften treiben gerade in Guate ihr – überwiegend – unheilvolles Wesen, auf der Seite der Herrschenden und der Militärs, wie auch anderswo. Sie hatten stets besten Zugang zur Regierung. Das wird sich auch unter dem neuen Präsidenten nicht ändern.

Zu den Beziehungen Deutschland-Guatemala: deutsche Institutionen (EZ) spielten in den 90er Jahre eine nicht unbedeutende Rolle bei der Unterstützung der Aufarbeitung der Diktaturverbrechen. Heute zeigen sich fortschrittliche Kräfte in Guate enttäuscht, dass die Bundesregierung nicht deutlicher Position in der Frage der Menschenrechtsverletzungen bezieht. Wichtiger als Deutschland ist heute indessen die Europäische Union, die CICIG finanzierte, und eine klare Pro-Menschenrechtsposition vertritt.

(Ein Gast monierte, dass im Rahmen des Weltwärts-Programms des BMZ/Engagement Global Süd-Freiwillige nach Deutschland aus Nicaragua oder El Salvador kommen, aus Guatemala aber nicht. Es mag an der Sicherheitsfrage liegen – der Nord-Freiwilligen nach Zentralamerika allgemein und nach Guate im Besonderen.)
Gibt es denn so gar nichts Positives aus und über Guatemala zu berichten? Doch. Heute ist es möglich, dass auch ein Präsident und seine Unterstützer angeklagt werden können. Ein starkes Signal. Guatemala ist weiterhin ein wunderschönes Land, mit einer extrem vielfältigen Kulturlandschaft und tollen Menschen.
Voces de la noche: „Liebes Deutschland, überlass Guatemala nicht den USA“ ! „Werden wir aktiv für Guatemala!

Wir bedankten uns herzlich bei den ReferentInnen Ixmucané Reyes (Grupo Voces de Guatemala), Martin Reischke (Journalist, tätig bei der Deutschen Welle) und Andreas Lo Grasso, Projektreferent Guatemala, Peace Brigades Internationall, der Moderatorin Juliana Ströbele-Gregor und Publikum für Teilnahme und sachkundige Beiträge.

Ein Nachtrag von Werner Würtele, Präsident Lateinamerika-Forum Berlin e.V.

[1] Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala CICIG, seit 2007 in Guatemala tätig
[2] https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2019-09/guatemala-kardinal-ramazzini-dankbar-gerechtigkeit-menschenrecht.html

Foto Credits: Flickr, Gobierno de Guatemala, Public Domain Mark 1.0