Was hat Noboa vor?
Ein Beitrag von Erik Bergmann | April 2025
Am 13. April 2025 fand die Stichwahl zwischen den beiden Präsidentschaftskandidat*innen Daniel Noboa und Luisa González statt. Der bereits amtierende Präsident Noboa hatte 2023 eine erste Runde des Aufeinandertreffens für sich entscheiden können, nachdem der damalige Präsident Guillermo Lasso mithilfe des muerte cruzada – einem Mechanismus in der ecuadorianischen Verfassung, womit sich der Präsident selbst des Amtes entheben kann, und gleichzeitig die Nationalversammlung auflöst – abgetreten war, um Ermittlungen aufgrund von Korruption gegen ihn zuvorzukommen.
Noboas erste Amtszeit
In den noch verbleibenden eineinhalb Jahren der Wahlperiode hatte sich Noboa zur Aufgabe gemacht die explodierenden Kriminalitätsraten in dem bis vor wenigen Jahren vergleichsweise friedlichen Land Lateinamerikas mit mano dura – Politik der harten Hand – zu bekämpfen. Per Volksbefragung ließ der Sohn des Milliardärs und Bananenmagnaten Álvaro Noboa, etwa den Einsatz der Streitkräfte im Inland und die Auslieferung von ecuadorianischen Staatsbürger*innen in die USA legitimieren. Seine Politik der harten Hand führte jedoch nicht zu einem Rückgang der Kriminalität in Ecuador, ganz im Gegenteil, der Januar 2025 ging mit insgesamt 750 Morden als blutigster Monat in Ecuadors Geschichte ein und sorgte dafür, dass das Land die traurige Spitze der Mordraten-Statistik in ganz Lateinamerika erreichte. Auch nahm die Bekämpfung der Drogenbanden immer wieder autoritäre Züge an. Mehrere NGOs berichteten von gewaltsamen Fällen des Verschwindenlassens durch das Militär, wie zum Beispiel im Fall von los cuatro de las malvinas. Benannt nach dem Stadtviertel von Guayaquil, wo die vier Jungen zwischen elf und fünfzehn Jahren im Dezember 2024 von einer Militärpatrouille beim Fußball spielen aufgegriffen und mitgenommen wurden, erregte der Fall landesweit großes Aufsehen, da die Leichen der vier Jungen anschließend 40 Kilometer entfernt in der Nähe einer Militärbasis entdeckt wurden.
Der Wahlkampf: Wenig Inhalt, viel Populismus
Auch die wirtschaftliche Lage des Landes ist schwierig. Im Jahr 2024 schlitterte es mit einem Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent nur knapp an einer Rezession vorbei und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie hohe Beschäftigungszahlen im informellen Sektor setzen der Wirtschaft des Landes zu. Außerdem steckt Ecuador ebenfalls in einer Energiekrise, da Wasserkraftwerke, die ca. 80 Prozent des Stroms liefern nur sehr eingeschränkt laufen. Dies liegt vor allem daran, dass Ecuador in letzten Monaten eine extreme Dürreperiode durchlebt hat und deswegen die Flüsse zu wenig Wasser mit sich führen, um die Turbinen in den Wasserkraftwerken antreiben zu können. So hatten die Einwohner*innen Ecuadors in den Wochen vor den Wahlen teilweise bis zu 14 Stunden am Tag kein Zugang zu elektrischer Energie.
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage erhielten Daniel Noboa mit seiner rechtspopulistischen Partei Acción Democrática Nacional (ADN) genau so wie die Anführerin der Opposition Luisa Gonzáles mit der Partei Revolución Ciudadana (RC), die in der Tradition des Correismo steht, jeweils rund 44 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen am 9. Februar 2025. Auf Platz drei landete der Kandidat Leonidas Iza der indigenen Partei Pachakutik mit rund fünf Prozent der Stimmen. Da kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielte, war laut der ecuadorianischen Verfassung eine Stichwahl nötig, in der die ersten beiden Plätze gegeneinander antreten. Damit schied Iza aus dem Rennen um die Präsidentschaft aus und verbündete sich mit der RC gegen Noboa.
Aufgrund dieser Allianz und der schlechten wirtschaftlichen sowie sicherheitspolitischen Lage galt ein Sieg Gonzáles in den Stichwahlen am 13. April als sehr wahrscheinlich.
Entgegen den Erwartungen verkündete Noboa am Sonntagabend nach 75 Prozent ausgezählter Stimmen und einem Vorsprung von zwölf Prozentpunkten seinen Sieg in der Präsidentschaftswahl. Etwas später bestätigte das offizielle Wahlkomitee CNE den Sieg Noboas, welchen die Oppositionsführerin Gonzáles jedoch nicht anerkannte. Sie sprach von Wahlbetrug und forderte eine Neuauszählung der Wahlzettel, konnte jedoch keine stichhaltigen Beweise, die diesen direkt belegten, präsentieren.
Die Kritik der Opposition ist nachvollziehbar, da der Abstand von 12 Prozent zwischen den Kandidat*innen durchaus überraschend ist. Außerdem verstieß Noboa gegen gängige Abmachungen im Wahlkampf, zum Beispiel legte er sein Amt als Präsident während des Wahlkampfes nicht nieder, verhängte am Tag vor den Stichwahlen in mehreren Provinzen einen Ausnahmezustand oder verbot die Benutzung von Mobiltelefonen in den Wahllokalen.
Dennoch bleibt es fraglich, ob diese Maßnahmen den Unterschied von fast 12 Prozent der Stimmen erklären können und ob ein so groß angelegter Wahlbetrug unter der Beobachtung von internationalen Institutionen überhaupt technisch machbar gewesen wäre. Letztendlich trauten die Bürger*innen Ecuadors Noboa vermutlich eher zu, die Drogenkriminalität effektiv zu bekämpfen.
Wie hat Noboa das geschafft?
Es waren vermutlich mehrere verschiedene Faktoren, die dazu geführt haben, dass Noboa mit einem so großen Abstand gewinnen konnte. Zum einen setzte der Sohn von dem reichsten Mann Ecuadors im Wahlkampf viel auf die Sozialen Medien, allen voran TikTok, wobei ihm auch sein junges Alter von nur 37 Jahren geholfen hat. So schaffte er es in beiden Durchgängen trotz seiner rechtskonservativen Politik die Jugend für sich zu gewinnen. Auch von einer Ablehnung der Politik Rafael Correas, der zwischen 2007 und 2017 Präsident des Landes war und die politische Kultur bis heute prägt, konnte er profitieren. Sein Kurs des Anticorreismo zielte darauf ab, Correa und seinen Anhänger*innen die Schuld für die aktuelle Situation des Landes zu geben und so von seiner eigenen Verantwortung in den eineinhalb Jahren seiner Präsidentschaft abzulenken. Zum anderen profitierte er auch von dem augenscheinlich engen Draht zu Donald Trump in den USA mit dem er sich Ende März in Florida traf. Und auch seine autoritären Züge in der Sicherheitspolitik schienen ihm nicht zu schaden, sondern im Gegenteil befürworteten viele den von ihm ausgerufenen Krieg gegen die Drogenbanden, obwohl der tatsächliche Erfolg dieser Methode höchst umstritten ist und oft mit Menschrechtsverletzungen einhergeht. Trotzdem scheint es so, als wenn die Bürger*innen Ecuadors diese in Kauf nehmen, um einen Ausweg aus der Gewalt zu finden.
Internationale Reaktionen und geopolitische Implikationen
Die unmittelbaren Reaktionen aus der Region auf Noboas Wahlsieg fielen unterschiedlich aus. Präsidenten rechtsgerichteter Regierungen etwa Javier Milei (Argentinien) oder Santiago Peña (Paraguay), aber auch eher sozialdemokratische Präsidenten wie Bernardo Arévalo (Guatemala) oder Rodrigo Chaves (Costa Rica) gratulierten ihm nach seinem Wahlsieg. Auch die venezolanische Oppositionsführerin María Corina Machado äußerte ihre Unterstützung.
Linksgerichtete Regierungen wie Claudia Sheinbaum (Mexiko) und Gustavo Petro (Kolumbien) äußerten dagegen Zweifel am Ergebnis. Noboas geopolitische Ausrichtung steht in starkem Kontrast zum „Correísmo“, das traditionell mit autoritären Regimen wie Venezuela, Kuba und teilweise Nicaragua sympathisiert. Luisa González bemühte sich im Wahlkampf, sich von solchen Verbindungen zu distanzieren, doch der Schatten Rafael Correas – seit 2020 im belgischen Exil – lastet schwer auf ihr. Besonders brisant ist Noboa Vorschlag, die 2009 geschlossene US-Militärbasis in Manta wiederzueröffnen. Damit würde sich Ecuador erneut eng an die USA binden und die geopolitische Einflussnahme Washingtons in der Andenregion verstärken – insbesondere zur Überwachung des Drogenschmuggels und der kolumbianischen Guerillabewegungen. Noch äußerte sich Washington nicht offiziell, aber die Richtung ist klar: Von einer strategischen Partnerschaft könnten beide Länder wohl profitieren.
Regionale Perspektive: Die Andenregion im Wandel
Ecuador steht exemplarisch für eine politische Wende in der Andenregion. Nach Jahren linker Regierungen in Bolivien, Kolumbien und Peru zeigen sich zunehmend autoritär-konservative Tendenzen. Sollte auch in Kolumbien (2026) und Bolivien sowie Chile bei anstehenden Wahlen rechte Regierungen gewinnen, wäre die gesamte Andenregion von US-freundlichen Regierungen geprägt. Diese Entwicklung steht im Kontrast zur „ersten rosa Welle“ der 2000er-Jahre, als linke Regierungen wie Correas Ecuador, Chávez’ Venezuela oder Lulas Brasilien Südamerika dominierten. Heute bleibt von dieser Strömung nur wenig – die „zweite rosa Welle“ bricht in Zentral- und Südamerika zunehmend ein.
Ausblick: Politische Instabilität und ungelöste Strukturprobleme
Trotz seines Wahlsiegs steht Daniel Noboa vor gewaltigen Herausforderungen: die Sicherheitslage, die instabile Energieversorgung (Krise im Wasserkraftsystem), die zersplitterte politische Landschaft und die tiefe gesellschaftliche Polarisierung. Die indigene Bewegung CONAIE bleibt ein mächtiger politischer Faktor, der bereits mehrfach Präsidenten gestürzt hat. Sie unterstützte diesmal die Oppositionskandidatin, bleibt aber heterogen und misstrauisch gegenüber allen politischen Lagern.
Noboa, einst als „Playboy“ belächelt, hat sein Image gewandelt. Ob er das Mandat für Reformen nutzt oder sich – wie seine Vorgänger – im institutionellen Stillstand verliert, bleibt offen. Entscheidend wird sein Umgang mit der weitreichenden Korruption im Staatsapparat, die durch die Geldflüsse der Kartelle weiter befeuert wird.
Fazit
Die Wahl in Ecuador ist Ausdruck eines regionalen Machtwechsels: Der Fokus verschiebt sich von einem sozialstaatlichen Entwicklungsmodell hin zu einer wirtschaftsliberalen Regierung mit autoritären Zügen und deutlicher Annäherung zu den USA. Noboa verkörpert diesen Kurswechsel – doch seine Legitimität bleibt stark abhängig von seinem Erfolg im Kampf gegen die Drogenkriminalität, und die geopolitischen Spannungen um Ecuador könnten weiter zunehmen.
Erik Bergmann ist Praktikant des LAF Berlin e.V. und studiert Internationales Politikmanagement an der Hochschule Bremen.
Beitragsbild: Presidencia de la República del Ecuador, 2023, PDM 1.0.