Angeklagt: Volkswagens dunkle Vergangenheit in Brasilien

…oder wie VW sich um eine Imageverbesserung müht. Eigentlich sieht der steile wirtschaftliche Aufstieg von VW do Brasil aus wie eine makellose Erfolgsgeschichte. Das Tochterunternehmen von Volkswagen entwickelte sich seit seiner Gründung in Brasilien in den 50er Jahren in kurzer Zeit zum größten Autoproduzent des Landes. Wäre da nicht auch eine Schattenseite – VWs Verstrickung […]

…oder wie VW sich um eine Imageverbesserung müht.

Eigentlich sieht der steile wirtschaftliche Aufstieg von VW do Brasil aus wie eine makellose Erfolgsgeschichte. Das Tochterunternehmen von Volkswagen entwickelte sich seit seiner Gründung in Brasilien in den 50er Jahren in kurzer Zeit zum größten Autoproduzent des Landes. Wäre da nicht auch eine Schattenseite – VWs Verstrickung in die Terrorherrschaft während der Militärdiktatur. Bis heute würden die Verantwortlichen im VW-Vorstand dem Thema allzu gerne den Rücken kehren, doch nun ermittelt die brasilianische Staatsanwaltaschaft gegen den Automobilhersteller. 2015 wurde eine Sammelklage von ehemaligen Mitarbeitern gegen VW eingereicht.

Angesichts der Erkenntnisse der Wahrheitskommission (2012-2014) und den immer lauter werdenden Stimmen der Opfer, hatte das Unternehmen eingelenkt und den Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Christopher Kopper mit einer Untersuchung beauftragt. Die Ergebnisse seiner Studie sind eindeutig: Eine Zusammenarbeit des VWWerkschutzes mit der politischen Polizei von Sao Paulo hat zweifelsfrei stattgefunden. Mehr noch, sie geschah freiwillig und mit Wissen der Unternehmensleitung. Ohne gesetzlich dazu verpflichtet gewesen zu sein, fungierte der VW-Werkschutz als eine Art verlängerter Arm der Geheimpolizei, indem er für sie personenbezogene Akten und schwarze Listen anlegte – und Mitarbeiter im wahrsten Sinne des Wortes ans Messer lieferte.

Hier: Studie_C_Kopper_VW_B_DoBrasil_14_12_2017

Podium von li L. Ramalho, S. Dodt. , C. Kopper, S. Lincoln, W. Würtele,

Linke Oppositionelle und Gewerkschafter, die sich etwa für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne stark machten, wurden in der sog. „bleiernen Zeit“ der Militärdiktatur zwischen 1968 und 1974 systematisch bespitzelt, unterdrückt, gefoltert, ermordet. Dies beweisen sowohl Berichte im Polizei-Archiv, als auch die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter. Letzteren zufolge gehörte VW zu den repressivsten Unternehmen der Branche. In dieser Zeit erzielte VW do Brasil Traumrendite, das Unternehmen profitierte von der Diktatur. Bundesregierung und das Land Niedersachsen besaßen große Aktienanteile an der VW AG. Die IG Metall hatte starken Einfluss auf die Unternehmenspolitik. Kamen die Schreie der Gefolterten bei ihnen nicht an?

Die Journalistin Stefanie Dodt zeigt in dem ARD-Dokumentarfilm „Komplizen? VW und die brasilianische Militärdiktatur“ auf bewegende Weise, wie die ehemaligen VW-Mitarbeiter bis heute unter der Ohnmacht und den Misshandlungen während ihrer Folterhaft in den politischen Gefängnissen leiden. Der Film zeigt aber auch, wie sie trotz aller Widrigkeiten weiter dafür kämpfen, die Wahrheit über die Geschehnisse bei VW ans Licht zu bringen, damit sich der Konzern schließlich doch noch seiner Verantwortung stellt. Dagegen scheinen die damaligen VW-Vorstandsmitglieder ihre eigene Geschichtsschreibung parat zu haben: Die Interviewaussagen reichen von angeblicher Unwissenheit über Desinteresse, bis hin zu einer Leugnung der Militärdiktatur an sich.

Flavio Aguiar berichtet von der Zeit

An der Podiumsdiskussion im Anschluß an den Dokumentarfilm nahmen neben der Journalistin Stefanie Dodt, der Gutachter Prof. Kopper, Uni Bielefeld, der Präsident des Lateinamerika-Forums Berlin e. V. Dr. Werner Würtele und Sarah Lincoln, Referentin für Menschenrechte bei Brot für die Welt teil. Zugesagt hatte auch der VW-Chefhistoriker Landenberger, dieser musste aber aus Gesundheitsgründen kurz zuvor absagen.

VW ist stolz auf sich, als erstes Unternehmen mit der Aufarbeitung seiner Geschichte in Brasilien ernst gemacht zu haben. Eine Plakette wurde bei der Vorstellung des Gutachtens in Sao Paulo am 14. Dezember 2017 enthüllt,  Hilfspropjekte werden unterstützt, der „Fall VW do Brasil“ soll in die Schulungsmaterialien des Konzerns eingehen. VW anerkennt – und schon das ist bemerkenswert – mit den Repressionsorganene der Diktatur zusammengearbeitet zu haben. Allerdings, und dies ist juristisch hoch relevant, streitet der Konzern „institutionelles Handeln“ ab, sprich man schiebt die Verantwortung auf Einzeltäter des Werksschutzes ab. VW_Nachrichten São Bernardo do Campo

In der Diskussion gelang es den Bogen von der Geschichte zur Neuzeit zu schlagen: Welche Folgen hätte die Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen wie die durch VW in Brasilien heutzutage? Welche Möglichkeiten bestehen aktuell, um Verbrechen dieser Art zu verhindern oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen? Die Antwort: Nicht viele.

Grund dafür sind laut Sarah Lincoln, folgenschwere Lücken im internationalen Rechtssystem: es gibt keine verbindlichen globalen Standards im Arbeitsrecht und auch keine internationalen Gerichte, die sie durchsetzen. Arbeitsrechtliche Bestimmungen könnender „unternehmerischen Entscheidungsfreiheit“, d.h. der kapitalistischen Profitlogik, entgegenstehen und werden entsprechend von den Unternehmen abgelehnt. Sie plädieren für freiwillige Abkommen, doch wie die Erfahrung zeigt, bleiben solche oft ohne Beachtung. Es gäbe bereits Verhandlungen über entsprechende Völkerrechtsabkommen bei der UN. Internationale Bewegungen wie die sogenannte Treaty Alliance seien ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings würden diese Entwicklungen immer noch durch Staaten, in denen große transnationalen Konzernen ihren Sitz haben, boykottiert. Weiterhin sei die öffentlichkeitswirksame „Skandalisierung“ notwendig, um Veränderungen voranzutreiben. Im Fall VW hat die Ausstrahlung der ARD-Doku eine längst überfällige öffentliche Debatte auslösen können.

Dennoch bleibt ungewiss, ob den mittlerweile hochbetagten Geschädigten zu Lebzeiten noch ein Stück Gerechtigkeit widerfährt. Die derzeitigen Entwicklungen in Brasilien könnten VW in die Karten spielen: Der Aufarbeitungsprozess droht unter der rechts-konservativen Regierung zum Stillstand zu kommen.

Über 100 Teilnehmende – kam gut an

Die Moderation hatte Dr. Luiz Ramalho, Mit-Organisator der Nunca Mais-Brasilientage von 2014

Ein Beitrag von Friederike Thoma, ehrenamtliche Mitarbeiterin des LAF

Fotos: Bernd Schulze

Ankündigung der Veranstaltung: flyer

Beitragsbild LAF Berlin