Zwei Seiten derselben Medaille
Ein Beitrag von Daniel Kempken, 16.01.2025
Anticorrupción y derechos humanos: romper los silos. Publicado en DPLF.
In 2019 hat die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte einen Bericht veröffentlicht, der den Zusammenhang zwischen Korruption und Menschenrechtsverletzungen ausführlich darstellt. Die zentrale Aussage dieses Berichtes lautet: Korruption verletzt Menschenrechte. Die beiden Phänomene sind nicht identisch; doch sie treten oft in Verbindung miteinander auf. Dieses Verständnis wird auch zunehmend von der einschlägigen Wissenschaft geteilt.
Die Verbindung zwischen Korruptionsbekämpfung und dem Schutz der Menschenrechte
In den Jahren 2021 und 2023 verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zwei Resolutionen über die negativen Auswirkungen von Korruption auf die Menschenrechte. Die Resolution aus dem Jahr 2023 hebt ausdrücklich hervor, dass Antikorruptionsmaßnahmen Instrumente für den Schutz der Menschenrechte sein können. Der Rat plädiert für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR) und dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen– und Verbrechensbekämpfung (UNODC) .
UNHCHR möchte, dass mehr seiner Länderbüros mit der dortigen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und organisiert regionale Workshops in Lateinamerika, Asien, Afrika und Europa, um die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft zu vertiefen. Diese Initiative hat das Ziel, fachliche Gräben zu überwinden, die nach wie vor den Organisationen, die Korruption bekämpfen einerseits und Menschenrechtsorganisationen andererseits nicht ganz fremd sind.Mögliche Synergien, die sich aus dem Zusammenhang der beiden Themen ergeben, sind noch nicht ausgeschöpft.
Die Due Process of Law Foundation (DPLF) und andere nichtstaatliche Organisationen haben daher eigene Arbeitslinien zu dem Zusammenhang von Korruption und Menschenrechten entwickelt. Transparency International stellt im Korruptionswahrnehmungsindex für 2021 ausführlich dar, dass Korruption Menschenrechtsverletzungen begünstigt.
Unterschiedliche Perspektiven
Korruption hat unterschiedliche Verantwortlichkeiten zur Folge: internationale, politische sowie straf-, zivil,- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen. Entsprechend gibt es verschiedene, vielfach sehr spezialisierte Mechanismen und Instrumente zur Bekämpfung des Übels. Die fachlichen Sichtweisen der handelnden bzw. zuständigen Stellen können ebenfalls sehr unterschiedlich sein.
Beispielsweise sind Strafgesetzbücher traditionell stark auf die Beschuldigten ausgerichtet, denen eine Straftat vorgeworfen wird. Der Menschenrechtsansatz hingegen betrachtet vorrangig die Opfer sowie Möglichkeiten von nichtstaatlichen Organisationen, an Strafverfahren teilzunehmen. In diesem Bereich konnte man in den letzten Jahren eine gewissen Flexibilität der Justiz beobachten. In Spanien gibt es beispielsweise ein Gesetz, das Bürgerinnen und Bürgern eine Nebenklage erlaubt. In der Dominikanischen Republik können Organisationen der Zivilgesellschaft an Strafverfahren teilnehmen. Zunehmend wird auch die Rechtsfigur des „Amicus Curiae“ (die Beteiligung sachkundiger Dritter am Verfahren) genutzt, zum Beispiel im Fall Berta Cáceres in Honduras.
Strafverfolgungsbehörden konzentrieren sich in der Regel auf Einzelfälle.Ein mehr systematischer Ansatz, der auf die Zerschlagung krimineller Strukturen, insbesondere der sog. Grand Corruption gerichtet ist, bleibt die Ausnahme. In diesem Bereich hat die internationale Mission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG – 2006 – 2019) eine herausragende Arbeit geleistet. CICIG ist nicht nur sehr systematisch vorgegangen, sondern hat gleichzeitig die notwendigen Gesetzesreformen auf den Weg gebracht.
Der Nachweis der Kausalität
Vor allem in gerichtlichen Verfahren kommt es darauf an, die Kausalität zwischen der korrupten Handlung und der eingetretenen Menschenrechtsverletzung nachzuweisen. Kausalitätsfragen sind auch für den Ersatz der von den Opfern erlittenen Schäden von großer Bedeutung. Es handelt sich um eine rechtliche Fragestellung, die sich oft sehr komplex darstellen kann. Daher können in vielen Fällen die Instrumente der Menschenrechtsarbeit, die nicht von streng juristischen Kausalitätsregeln abhängen, von besonderer Bedeutung sein.
Observatorien der Zivilgesellschaft
Juristische Observatorien können eine sehr wichtige Rolle spielen. Die große Herausforderung bei dieser Arbeit liegt in der Überprüfung und Bewertung von Informationen. Nicht nur die Masse an Informationen, auch Fehlinformationen können enorm sein. Dies erfordert großen Aufwand und die gründliche Kenntnis der Materie des jeweiligen Falles. Künstliche Intelligenz kann in bestimmten Situationen helfen. Da die Möglichkeiten der Organisationen oft sehr begrenzt sind, ist eine Strategie erforderlich, in der die Prioritäten des jeweiligen Observatoriums bestimmt werden.
Hierbei muss festgelegt werden, welche spezifischen Fragen untersucht werden sollen, wie sie untersucht werden sollen und was mit den Ergebnissen geschehen soll. In Frage kommen z.B. öffentliche Informationskampagnen, die gezielte Anprangerung korrupter Handlungen, bei denen starkes öffentliches Interesse besteht oder auch eine Konzentration auf die Interessen der Opfer oder auf die Art der Täter/innen. Generell braucht die Zivilgesellschaft starke Botschaften, vor allem solche, die das Ausmaß und die Konsequenzen der Korruption sichtbar zu machen. In Strafverfahren können gut arbeitende Observatorien der Zivilgesellschaft eine Hilfe für die Staatsanwaltschaft darstellen.
Derzeit gibt es u.a. in der Dominikanischen Republik ein Justiz-Observatorium. Im Rahmen der Interamerikanischen Konvention gegen Korruption aus dem Jahre 1996 wurde ein Mechanismus zur Überwachung der Umsetzung des Übereinkommens (MESICIC) eingerichtet.
Fachliche Gräben überwinden
Organisationen wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds sollten Menschenrechtsfragen ausdrücklicher in ihre Mechanismen zur Prüfung bzw. Evaluierung von Projekten und Finanzierungen einbeziehen.
UNHCHR und der VN-Menschenrechtsrat verfügen über eine Reihe vonInstrumenten und Mechanismen zur Beobachtung und Förderung der Menschenrechte: Besondere Bedeutung haben das allgemeine periodische Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Reviews, UPR), die Mechanismen der Vertragsorgane, Besuche vor Ort, Berichte und individuelle Beschwerdeverfahren. Es wäre sinnvoll, eine griffige Zusammenstellung zu erarbeiten, die das komplexe System dieser Mechanismen und ihre Finanzierung in übersichtlicher Form beschreibt. Mit einer solchen Darstellung wäre es für zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich mit Korruptionsbekämpfung oder Menschenrechten befassen, leichter, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten.
In den letzten Jahren haben einige UPR die Auswirkungen der Korruption auf die Menschenrechte eingehend analysiert. In den verschiedenen Fachrichtungen und Organisationen, die sich mit Korruption bzw. mit Menschenrechten befassen, wird die Arbeit inzwischen ganzheitlicher und multidisziplinärer aufgefasst. Fachliche Silos dieser beiden Bereiche, die sich oft mit den beiden Seiten ein und derselben Medaille beschäftigen, werden allmählich überwunden. Dieser gemeinschaftliche Weg sollte weiter beschritten werden, sowohl zur effektiven Bekämpfung der Korruption als auch zu einem besseren Schutz der Menschenrechte.
Daniel Kempken ist Jurist, Autor und unabhängiger Berater mit langjähriger Erfahrung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie. Er ist Mitglied von Transparency International Deutschland, außerdem im Präsidium des Lateinamerika-Forums Berlin sowie im Board of Directors der Due Process of Law Foundation in Washington.
Beitragsbild: CorteIDH, CC BY-SA 2.0