Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rechtsstaat und Menschenrechte: Nagelprobe in Honduras

Das bei der Weltbank angesiedelte Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten - International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) ist eine wichtige Institution der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Es wird bei Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten tätig; in der Regel auf der Grundlage von bilateralen oder multilateralen Investitionsschutzabkommen.

Ein Beitrag von Daniel Kempken, 21.01.2025

Arbitraje internacional, el Estado de Derecho y los Derechos Humanos: Prueba de fuego en el caso de las ZEDE en Honduras. Publicado en DPLF.

Das bei der Weltbank angesiedelte Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten – International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) ist eine wichtige Institution der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Es wird bei Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten tätig; in der Regel auf der Grundlage von bilateralen oder multilateralen Investitionsschutzabkommen.

Die Bedeutung des bereits 1965 gegründeten ICSID hat seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen. Immer mehr Fälle mit teilweise sehr hohen Gegenstandswerten werden dort verhandelt. Gleichzeitig hat die Kritik an der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zugenommen. Bolivien, und Venezuela sind wirksam aus dem ICSID ausgetreten; Honduras hat 2024 seinen (noch nicht wirksamen) Austritt erklärt. Ecuador, Indien, Indonesien und Südafrika haben sich aus bilateralen Investitionsschutzabkommen zurückgezogen, die der Schiedsgerichtsbarkeit zugrunde liegen.

Im Falle von Honduras sind Schiedsverfahren bei ICSID im Freihandelsabkommen zwischen der Dominikanischen Republik, Zentralamerika und den USA (DR-CAFTA – Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement) vereinbart.

Einerseits bieten die Schiedsverfahren ausländischen Investoren einen Schutz, der über die Mechanismen des nationalen und internationalen Rechts hinausgeht. Dadurch können Impulse für wirtschaftliches Wachstum gesetzt werden.

Andererseits können nationale Regierungen über die Investionsschutzabkommen stark in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt werden. Politisch nicht gewollte und demokratisch nicht legitimierte Abhängigkeiten von ausländischen Unternehmen können entstehen.

Es stellt sich die Frage, ob ICSID und die unter seiner Ägide stattfindenden Schiedsverfahren in diesem Spannungsverhältnis tatsächlich einen gerechten Ausgleich finden können, der internationalen Rechtsgrundsätzen, insbesondere dem Schutz der Menschenrechte entspricht.

Der umstrittene Fall der in Honduras eingerichteten Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung (Zonas de empleo y desarrollo económico – ZEDE) könnte aufgrund seiner extremen Ausgestaltung zu einer Nagelprobe für die rechtliche und ethische Qualität internationaler Schiedsgerichtsbarkeit werden.

Bei den ZEDE handelt es sich um eine sehr weitgehende Form von Sonderwirtschaftszonen. Die auch als Modellstädte oder als freie Privatstädte  bezeichneten Gebiete sind Mikrojurisdiktionen, die auf der Grundlage von Verträgen mit den Betreibern quasi aus dem Staatsgebiet ausgekoppelt werden. Sie regeln ihre Angelegenheiten einschließlich der Gesetzgebung und Rechtsprechung in Wesentlichen selbständig und weitgehend losgelöst von nationalem und internationalem Recht. Transparente Regeln der Rechnungslegung sind nicht ersichtlich.

Entsprechend war das Konstrukt von Beginn an juristisch und politisch äußerst umstritten. Das honduranische Oberste Gericht hatte 2011 die ZEDE (damals Regiones Especiales de Desarrollo – RED genannt) als verfassungswidrig erklärt. Im Raum stand insbesondere die Verletzung der verfassungsmäßig garantierten territorialen Integrität des Landes. Nach einem politisch veranlasssten Wechsel der Richter/innen stimmte das neue besetzte Oberste Gericht im Jahr 2013 den ZEDE zu. Das Parlament hatte zudem die honduranische Verfassung auf Betreiben der damaligen Regierung im Sinne der ZEDE geändert.

Die seit 2022 im Amt befindliche, neue honduranische Regierung will die ZEDE wieder abschaffen. Das Parlament stimmte dieser Entscheidung im Jahre 2022 ebenfalls zu. Die verfassungsmäßig erforderliche Bestätigung des entsprechenden Parlamentsbeschlusses in der darauf folgenden Sitzungsperiode blieb jedoch aus. Das abermals neu besetzte Oberste Gericht erklärte die ZEDE im Jahre 2024 mit einer knappen Mehrheitsentscheidung erneut für verfassungswidrig.

Menschenrechtsorganisationen, Indigenenorganisationen und andere Organisationen der Zivilgesellschaft haben von Beginn an vehement gegen die ZEDE protestiert. Auch namhafte Vertreter/innen der Wissenschaft und die Vereinten Nationen haben sich gegen die ZEDE ausgesprochen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hat Ende 2024 in ihrer 191. Sitzungsperiode den Auswirkungen von Sonderwirtschaftszonen und intransparenten Jurisdiktionen auf Steuergerechtiugkeit und Umweltschutz eine Anhörung gewidmet.

Die Verletzung bzw. Aushebelung nationalen und internationalen Rechts, insbesondere des Umweltrechts, des honduranischen Arbeits-, Verwaltungs- und Zivilrechts, die Verletzung von Menschenrechten und von Rechten der Indigenen Völkern stehen im Raum. Kritiker/innen vergleichen die ZEDE mit einer Neuauflage der von US-amerikanischen Konzernen im 20. Jahrhundert selbstherrlich betriebenen Plantagen in den sog. Bananenrepubliken. Befürchtet wird zudem, dass die ZEDE ideale Orte für Geldwäsche durch die Organisierte Kriminalität sein werden. Schließlich wird behauptet, dass die Betreiber der ZEDE von Beginn an verantwortliche honduranische Politiker/innen bestochen hätten.

Trotz dieser juristischen Gemengelage haben die Betreiber mit Unterstützung der vorherigen Regierung drei ZEDE (Próspera auf der Insel Roatán,  Morazán in Choloma und Orquidea bei San Marcos de Colón) eingerichtet. Entgegen dem erklärten Willen der gegenwärtigen Regierung, entgegen einem entsprechenden Parlamentsbeschluss und trotz anhaltender Proteste der Zivilgesellschaft haben die Betreiber die ZEDE weiterentwickelt.

Schließlich haben die Betreiber der ZEDE Próspera ein Verfahren gegen Honduras beim ICSID angestrengt. Sie behaupten einen Schaden von 10,775 Mrd. US$, der im Wesentlichen aus entgangenem Gewinn bestehen soll. Dieser Betrag entspricht etwa zwei Dritteln des hondurnischen Staatshaushaltes. Grundlage seien Garantieverträge über 50 Jahre, die auf der Grundlagen der damaligen ZEDE-Gesetzgebung mit der früheren honduranischen Regierung abgeschlossen wurden.

Es stellt sich die Frage, welche Aspekte das mit der Sache gefasste Schiedsgericht in diesem Fall prüfen wird. Wird es nur darum gehen, ob die in den Garantieverträgen genannten Voraussetzungen für Schadensersatz gegeben sind?

Oder wird das Schiedsgericht auch verfassungsrechtliche Aspekte prüfen sowie die Vereinbarkeit der ZEDE mit internationalen Verpflichtungen von Honduras, insbesondere im Umweltrecht, bei Menschenrechten und den Rechten indigener Völker?

Wird geprüft, ob durch die Entscheidung der neuen honduranischen Regierung und durch die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtes die Geschäftsgrundlage für Aktivitäten auf der Grundlage von Mikrojurisdiktionen weggefallen ist? Konnte unter den gegebenen Umständen (unklare Rechtslage, Proteste) überhaupt ein schützenswerter, guter Glaube des Betreibers in den Fortbestand der ZEDE entstehen? Hat der Betreiber durch die Art seiner Bautätigkeit (ein acht geschossiges Hochhaus auf der Insel Roatán, auf der keine Hochhäuser erlaubt sind) und die Art seiner Investitionen (Schaffung einer Kryptowärung; Durchführung von Gentherapien) gegen honduranisches Recht verstoßen? Ist die Schadensersatzforderung so überzogen, dass sie erpresserischen Druck ausübt und damit Treu und Glauben widerspricht?

Ein nationales oder internationales Gericht müsste alle diese Aspekte prüfen, die weit über die Klauseln des Garantievertrages zwischen Honduras und dem Betreiber hinausgehen. Wie wird das Schiedsgericht mit dieser komplexen rechtlichen Problematik umgehen? Ist es fachlich in der Lage, die im Raume stehenden Rechtsfragen zu prüfen und darf es dies auf der Grundlage der Regularien des ICSID überhaupt tun?

Da die möglichen Rechtsverstöße gleichermaßen zahlreich wie gravierend sind, kann das ZEDE-Verfahren zu einer Nagelprobe für die Eignung und Grenzen internationaler Schiedsgerichtsbarkeit werden. Fraglich ist hierbei auch, ob private Schiedsstellen überhaupt befugt sein sollten, über sehr grundsätzliche oder verfassungsrechtlich relevante Streitigkeiten mit souveränen Staaten zu entscheiden.

 

Daniel Kempken ist Jurist, Autor und unabhängiger Berater mit langjähriger Erfahrung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie. Er ist Mitglied von Transparency International Deutschland, außerdem im Präsidium des Lateinamerika-Forums Berlin sowie im Board of Directors der Due Process of Law Foundation in Washington.