Ariéscate! Schwester Karoline macht Mut

Bericht zur Veranstaltung am 2. Juni 2016 Es wurde zu einem großen Fest der Wiederbegegnung mit einer außergewöhnlichen Frau: an einem historischen Tag – dem 2. Juni – begrüßte das LAF Berlin ganz in der Nähe der Krummen Straße Schwester Karoline Mayer aus Santiago de Chile zu „Theologie der Befreiung in der Praxis“. Über 60 […]

Bericht zur Veranstaltung am 2. Juni 2016

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Schwester Karoline und Frhr. von Mentzingen. Foto: ©Würtele)

Es wurde zu einem großen Fest der Wiederbegegnung mit einer außergewöhnlichen Frau: an einem historischen Tag – dem 2. Juni – begrüßte das LAF Berlin ganz in der Nähe der Krummen Straße Schwester Karoline Mayer aus Santiago de Chile zu „Theologie der Befreiung in der Praxis“. Über 60 kamen, um sie zu umarmen, sich mit ihr auszutauschen, ihren Worten zu lauschen.
Im Dialog mit den Moderatoren Werner Würtele und Norbert Ahrens blickte die Schwester zurück auf ihre, die Geschichte Chiles und Lateinamerikas: 1968 war sie als Missionarin nach Chile gekommen. Es war das Jahr der Studenten:innenbewegungen und der Bischofskonferenz CELAM in Medellin (Option für die Armen), die der Theologie der Befreiung und den kirchlichen Basisgemeinden Motto sehen – urteilen – handeln starke Impulse gab, nun auch abgesichert von oben. Es war Aufbruchszeit in Chile. Karoline trägt diese immer noch in sich.
Dann 1973 der Putsch und die Verhaftungen in ihrem Elendsviertel, die Besuche von D. Lucia, Pinochets Frau und Manuel Contreras, dem Chef des berüchtigten Geheimdienstes DINA (s. auch Operation Condor). Karoline erlebt, wie in ihrer Nachbarschaft Menschen verschwinden, gefoltert und ermordet werden. Wie das Wirtschaftsmodell Chiles in den 70-er Jahren im Sinne der Chicago Boys umorganisiert,1980 die dazu passende Verfassung verfügt wurde.

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Tief verwurzelt (Foto: ©Würtele)

Die katholischen Amtskirchen waren angesichts der Militärdiktaturen gespalten: Die chilenische war eher auf der Seite der Verfolgten, die meisten anderen aber huldigten den Diktatoren, so in Argentinien.Bestärkt wurden die reaktionären Kräfte noch durch den 1979 zu Amt und Würden gekommene Papst Johannes Paul II., der mit seiner Personalpolitik systematisch fortschrittliche Bischöfe und Erzbischöfe in Lateinamerika ersetzte, kritisierte Schwester Karoline.
Die Theologie der Befreiung wurde auch vom US-Geheimdienst als gefährliche subversive und so zu bekämpfende Kraft identifiziert. Im Kontext des Kalten Krieges wurde der von Franziskus inzwischen seliggesprochene Erzbischof Oscar Romero und drei US-Nonnen in El Salvador ermordet.
Mit den beiden Päpsten Johannes Paul II und Benedikt XVI erfuhr die Theologie der Befreiung herbe Rückschläge. Erst seit Papst Franziskus atmen die Basisgemeinden wieder freiere Luft, findet die Lebenswirklichkeit der Armen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten wieder zaghaft Eingang in Predigten und religiöses Handeln. Franziskus steht dabei aber unter starkem Druck der Kirchenhierarchie, die seinen Positionen nur unwillig, wenn überhaupt folgt.

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Norbert Ahrens (Foto: ©Würtele)

Kann Franziskus wieder Gläubige in den Schoß der katholischen Kirche zurückholen? Karoline: Darum gehe es dem Papst nicht, sondern um übergreifende Ziele wie Menschenwürde, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit. Und vor Gott seien ohnehin alle gleich. Sie käme mit den Anhängern evangelikaler Sekten in ihrer Umgebung sehr gut klar (nicht ganz so mit deren Kirchenobersten). Und wie steht es um die Hölle? Sie erklärt in ihren Predigten und an Gräbern ganz schlicht: Die gibt es nicht. Für sie war Jesus ein Revolutionär. Ihr Ziel: ein socialismo comunitario. Unter den vielen Auszeichnungen, die die Schwester erhielt, befinden sich auch zwei Bundesverdienstkreuze.

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Rejane Barreto berichtet von ihren Erfahrungen (Foto: ©Würtele)

Doch ersetzt Karolines Sozialwerk nicht den Staat, ist das nicht überhaupt asistencialismo? Karoline widerspricht. Es geht darum, Strukturen zu schaffen, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, den Staat in die Pflicht zu nehmen und modellhaft zu zeigen: Es geht! Der Erfolg gibt ihr recht.
Schwester Karolines Sozial- und Bildungswerk sucht in Lateinamerika seinesgleichen. Heute ist ihr Augenmerk neben all den anderen Projekten in Chile auf eine gute Handwerker:innenausbildung ausgerichtet, in Bolivien auf eine Landwirtschaftsschule bei Cochabamba und in Cuzco werden Frauen mit Gewalterfahrungen betreut. Große Unterstützung erhält Schwester Karoline in Europa durch die Stiftung Cristo Vive.
Ihre unverbrüchliche Hoffnung ist auf Bildung fokussiert. In der Bildung – und sie bezieht sich ausdrücklich auf Paulo Freire – sieht sie den Schlüssel zu einem besseren und bewussteren Leben.

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Lebhafte Diskussion (Foto: ©Würtele)

In die Debatte griffen dann zahlreiche Zeitzeug:innen und Weggefährt:innen der Schwester ein, die sie z.T. bereits Ende der 60er Jahre kennen und schätzen gelernt hatten. Auch junge Weltwärts-Freiwillige berichteten wie sehr ihr Aufenthalt bei der Schwester ihr späteres Leben geprägt hatte (derzeit sind 25 Freiwillige im Sozialwerk tätig). Und immer wieder war das Publikum voll Bewunderung, wie engagiert und beseelt Schwester Karoline ihre Ideen und Erfahrungen vortrug.
Zum Schluss dankte die Schwester den vielen vormals in der Chile – Lateinamerika Solidarität engagierten Menschen. Lange nach Ende der Veranstaltung stand man noch zusammen…

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von links: Adriana Alfonso Schwester Karoline Werner Würtele (Foto: ©LAF Berlin e.V.)

Statt mit „Pass auf Dich auf“ (cuídate!) verabschiedeten wir uns ganz im Sinne der Schwester mit:
„Wag was! Ariéscate!“
Rückblick von Werner Würtele