Bericht zur Veranstaltung am 21. April 2016
Die fortschreitende Kriminalisierung sozialer Bewegungen in Kolumbien tritt in der öffentlichen Wahrnehmung durch die laufenden Friedensverhandlungen zwischen FARC und der Regierung Kolumbiens in Hintergrund. Was das für wen bedeutet, diesem widmete sich der Abend des 21.04.2016.
Das Lateinamerika-Forum Berlin hatte gemeinsam mit kolko – Menschenrechte für Kolumbien e.V. eine breit gefächerte Runde eingeladen, moderiert von Noemi Stelzig vom Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin. Janina Rühl (ebenfalls vom LAI der FU) beleuchtete die Thematik aus juristischer Sicht. Im Rahmen ihrer Master-Arbeit beschäftigte sie sich mit Strafrechtsprozessen zu sozialem Protest in Kolumbien, um zu ergründen, inwiefern das Rechtssystem für die Kriminalisierung von politischem und sozialem Aktivismus ge- und missbraucht werden kann.
Über die allgemeine Situation Kolumbiens – auch in historischer Perspektive – berichtete Alexandra Huck von kolko. Mit ihrem Beitrag machte sie auf die Komplexität der innenpolitischen Geschehnisse in Kolumbien aufmerksam.
Seit 2012 verhandeln FARC und die Regierung in Kuba über Lösungen zu einem stabilen Frieden, mit der ELN (Nationales Befreiungsheer) erst seit 2016. Paradoxerweise nimmt die Bedrohung und Ermordung von Menschenrechtsverteidiger_innen und Aktivist_innen seither noch zu. Oftmals sehen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, von der Guerilla infiltriert zu sein, werden als Linksterroristen beschimpft und so ihr Engagement delegitimiert. Die violencia kommt wesentlich von paramilitärischen Gruppen, die offiziell seit 2005 zwar abgeschafft sind, de facto aber immer noch unter einem anderen Deckmantel fortbestehen. Sie stellen eine große Gefahr für den Friedensprozess dar.
Die Gesetzgebung wurde den letzten Jahren verschärft. Im Gesetz zur bürgerlichen Sicherheit (Ley de Seguridad Ciudadana) von 2011 sticht besonders der Artikel 353a hervor. Darin heißt es, dass die Behinderung und die Blockade von öffentlichen Straßen zwischen zwei und vier Jahren Gefängnisstrafe geahndet werden kann. Begründet wird dies mit einer Verletzung des Rechts auf Arbeit oder gar der Ernährungssicherheit. Oft wird aber auch der bestehende bewaffnete Konflikt als Vorwand für eine Bestrafung genutzt, die entweder damit begründet wird, dass es den Konflikt nur weiter verschärfen würde oder dass die Protestierenden selbst involviert seien.
Die aus Kolumbien angereiste Marylén Serna vom Congreso de los Pueblos ist eine dieser bedrohten Aktivisten. Der Congreso de los Pueblos ist eine soziale und politische Bewegung in Kolumbien, die das Ziel hat, für mehr Mitsprache der Zivilgesellschaft zu kämpfen, um ein Leben in Frieden und Würde zu erreichen. Im Juli letzten Jahres wurden elf Mitglieder des Congreso aufgrund von kritischen Veröffentlichungen verhaftet. Für den Congreso ist dies aus zweierlei Hinsicht tragisch. Auf der einen Seite fehlen der Bewegung wichtige Mitstreiter_innen, die zwar wieder freigelassen wurden, aber deren Prozesse nun weiter laufen und deswegen nicht weiter politisch arbeiten können. Auf der anderen Seite bedeuten diese Verhaftungen einen herben Rückschlag auf der öffentlichen Bühne. Solche Maßnahmen sollen einschüchtern, die Bewegung in Misskredit bringen.
Kritisch ist, dass ein Großteil der kolumbianischen Bevölkerung die Friedensverhandlungen nicht unterstützt. Uribe und die Rechte sowieso, da sie jede Verhandlung mit der Guerrilla ablehnen, aber auch seitens der Linken und Basisbewegungen. Bei den Friedensverhandlungen müßten Garantien für die freie Entfaltung des sozialen Protestes vereinbart werden. Und dass der Staat mit Nachdruck dem Treiben der Paramilitärs Einhalt gebietet. Die Friedensverhandlungen haben die sozialen Bewegungen schlicht zu wenig im Blick.
Daher sind die zentralen Ziele der Rundreise von Marylén Serna folgende:
- Die Bekanntmachung und die Unterstützung der Forderung nach einem separaten Verhandlungstisch für den Frieden für die sozialen Bewegungen (Mesa social para la paz)
- Ankündigung einer neuen Mobilisierung vieler Sektoren in der Mitte diesen Jahres.
Am Ende der Podiumsdiskussion war noch Raum für Fragen und Bemerkungen, sodass der gesamte Abend damit seinen partizipativen runden Abschluss bekam. Es war ein besonderer Abend mit besonderen Leuten, die alle jeweils ihren Teil dazu beitragen konnten, ein nicht allzu medienpräsentes Thema einem größeren Publikum zu unterbreiten. Auf alle Fälle ist Marylén Serna viel Erfolg zu wünschen. Sie steht für das Leben in einer Gesellschaft ohne repressive Staats- und Militärgewalt. Die internationale Solidarität, so betonte Marylén Serna am Schluss, sei in diesem Prozess von höchster Wichtigkeit.
Beitrag von Christian Buthmann (Praktikant des LAF)
Fotos: LAF, Bernd Schulze
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