Rückblick auf die LAF-Veranstaltung „Berliner Brücken nach Lateinamerika – Städtepartnerschaften unter der Lupe.“
20.04. 2017, 19 – 21 Uhr
Als eine der ältesten deutschen Jumelages gilt die zwischen Ludwigsburg und Montbéliard (1950). In Ludwigsburg wurde 1960 das NS-Dokumentationszentrum eingerichtet, hier hielt Charles de Gaulle 1962 seine für die deutsch-französische Versöhnung so wichtige Rede. Die ersten deutschen Städtepartnerschaften (Stäpas) hatten die Förderung von Versöhnung und Völkerverständigung nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen und des Nationalsozialismus zum Ziel.
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- In Deutschland gab es 2011 über 5.200 Städtepartnerschaften (ohne die innerdeutschen mitzuzählen)
- 90% der deutschen Stäpas werden mit europäischen Kommunen gepflegt
- Berlin unterhält 17 Städtepartnerschaften, 5 weniger als Köln. Man bemühe sich um keine weiteren, sondern mehr um die Pflege der bestehenden und Förderung von Projektaktivitäten unterhalb der Ebene der formalen Städtepartnerschaft
- Städtepartnerschaften halten manche Kenner für die „größte Friedensbewegung der Welt“ – doch findet man erstaunlicherweise kaum wissenschaftliche Studien zu ihnen. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
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Ein Sprung: kaum ein Land dieser Welt vereinigt so viele deutsche Städtepartnerschaften wie Nicaragua (fast 30), gegründet zu Zeiten der Solidarität mit der sandinistischen Revolution in den 80er Jahren. So auch die Städtepartnerschaft Kreuzberg – San Rafael del Sur (seit 1986). Michael Jopp vertrat auf dem Podium engagiert den Verein zur Förderung dieser Städtepartnerschaft. Die Stäpa beschäftigt sich derzeit mit der Renaturierung eines ehem. Kalkabbaugebiets, und unterstützt in San Rafael Vorhaben in den Bereichen Ressourcenmanagement, Müllbeseitigung und Wasser wobei auch ASAt/innen und Weltwärts-Freiwillige zum Einsatz kommen.
Auf Berliner Ebene ist Michael Jopp seit neuestem Promotor für Kommunale Entwicklungspolitik als Nachfolger von Helena Jansen. In der Stadt gibt es derzeit 10 Fachpromotoren (bundesweit 130). Jopp sieht seine Aufgabe in der Vernetzung von Akteur/innen aus der Bezirkspolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft und die Anregung von Kooperationsprojekten in den Bereichen Globales Lernen, Fairer Handel/Beschaffungen und Nord-Süd-Partnerschaften.
Nach der Rio-Konferenz 1992 zu Umwelt und Entwicklung und der Verkündung der Agenda21 standen vermehrt globale Herausforderungen – Klimawandel, Umweltfragen, Wasser, Abfall, Energieversorgung, Inklusion, Migration – an der Wiege neuer Städtepartnerschaften. So auch im Falle der Städtepartnerschaft Treptow-Köpenick – Cajamarca, gegründet 1998, deren Geschichte und Aufgaben Michael Schrick (auch aktiv bei der Infostelle Peru) vorstellte. Im Zentrum des Engagements der Stäpa stand und steht der schulische Austausch, eine Kooperation auf dem Gesundheitsgebiet mit einer ehem. Amtsärztin und Vorhaben zur Bürgerbeteiligung (mit ASA Kommunal und Weltwärts-Freiwilligen). Ganz in der Nähe von der im Norden Perus gelegenen Stadt Cajamarca befindet sich eine der größten Goldminen der Welt, Yanacocha, die Mine mit der größten Umweltzerstörung und Wasserverunreinigung der Region, die das Trinkwasser und die Existenz der Kleinbauern bedroht. Dürfen sich Stäpas auch um lokale Konflikte kümmern? Wie politisch dürfen Stäpas sein?
Doris Beiersdorf war von 1998 bis 2014 in der Berliner Senatskanzlei als Referentin für Amerika und so auch für die Städtepartnerschaften mit Mexiko Stadt (1993) und Buenos Aires (1994) verantwortlich. Zu letzterer stellte Frau Beiersdorf die vielfältigen Beziehungen und Handlungsfelder zwischen den Städten vor, vom Tango und den Kreativindustrien start ups bis hin zu Klimapartnerschaften und Energiemanagement von Krankenhäusern in Zusammenarbeit mit Engagement Global und mitfinanziert durch den Berliner Haushalt. Besonders gelungen fand sie den Austausch zwischen dem Jugendorchester der Musikschule Schöneberg-Tempelhof mit einem Pendant aus Buenos Aires. Ein besonders Feld der Zusammenarbeit entdeckte man in „Urbanen Erinnerungskulturen und Erinnerungspädagogik“, sprich in der Aufarbeitung von Diktaturerfahrungen, symbolisiert hier in den Gedenkstätten wie dem Holocaust Mahnmal, dort im Parque de la Memoria, bei dessen Konzeption auch Berlin mitgewirkt hatte. Die zahlreichen Städtepartnerschaften der „Hauptstadt der DDR“ wurden mit wenigen Ausnahmen nicht weitergeführt.
Eine enge Zusammenarbeit pflegen Berliner Städtepartnerschaften mit Institutionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ), insbesondere mit dem ASA-Programm und der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global, die Kurt Baudach auf dem Podium vertrat. In den letzten Jahren hat SKEW einen erheblichen Zuwachs an Mitteln und Stellen erfahren, Ausdruck dafür, welche Bedeutung das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der kommunalen Ebene beimisst, wie Ulrich Kaltenbach, stv. Referatsleiter Referat 113 Länder, Kommunen, entwicklungspolitische Bildungsarbeit unterstrich.
Die SKEW steht deutschen Kommunen als Service- und Beratungseinrichtung in Fragen kommunaler Entwicklungspolitik zur Seite. Sie informiert, berät und vernetzt Entscheidungsträger/innen und Fachexperten aus Städten, Gemeinden und Landkreisen. Zu ihren Angeboten zählen Fachkonferenzen, Schulungen und bundesweite Netzwerkveranstaltungen ebenso wie Modellprojekte und Projektdokumentationen, Wettbewerbe und Studien. Außerdem bietet sie verschiedene Möglichkeiten personeller und finanzieller Unterstützung für kommunales Engagement. Inhaltliche Schwerpunkte sind die Themen Fairer Handel und Faire Beschaffung, Global Nachhaltige Kommune, kommunale Partnerschaften, sowie Migration und Entwicklung. Ziel ist es, nachhaltige Entwicklung in Kommunen sowohl in Deutschland als auch in Ländern des Globalen Südens zu stärken und einen Beitrag zur Erreichung der im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) auf lokaler Ebene zu leisten.
SKEW fördert u.a. Klimapartnerschaften und leitet im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte“ (NaKoPa) Fördermittel des BMZ zur Umsetzung konkreter Maßnahmen weiter, so z. B. in San Rafael del Sur.
Linda Klingenberg koordinierte entwicklungspolitische Projekte im Rahmen der Städtepartnerschaften des Bezirks Steglitz-Zehlendorf , heute ist sie selbständig und Koordinatorin für entwicklungspolitische Bildung bei Kulturherz e.V.. Sie berichtete von der so wichtigen Arbeit mit Jugendlichen und dem Versuch, eine Kaffeekooperative im Norden von Peru über eine Berliner Schülerfirma zu unterstützen.
Alle waren sich einig, dass man viel voneinander lernen kann, so denn die Begegnungen der Stäpas auf Augenhöhe geschehen. Aber auch, dass dies bei ungleichen Partnern nicht einfach zu erreichen ist. Regelmäßige gegenseitige Besuche und die Durchführung von Fachkonferenzen sind sehr wichtig, zusätzlich sollte eine längere Mitarbeit in den jeweiligen Verwaltungen zur Erarbeitung gemeinsamer Problemlösungen angestrebt werden, eben ein Austausch international engagierter Fachkräfte wie es der DED-Freundeskreis für den zivilgesellschaftlichen Kontext vorschlägt. Die Stadt Osnabrück mit ihrem Programm zu jungen Städtebotschaftern könnte hier Vorbild sein. Sie erfüllen Aufgaben, die im Rahmen der Stäpa anfallen. Das Gegenteil eines Stäpa-Polittourismus. Herr Kaltenbach (BMZ) wies auf die über SKEW seit neuestem mögliche Finanzierung von Stellen in Kommunen zur Koordination und Unterstützung kommunaler entwicklungspolitischer Aktivitäten in Ländern des Südens wie auch in Deutschland hin.
Es wurden gelungene Projekte und Vorhaben von Städtepartnerschaften vorgestellt, die zahlreichen Hindernisse im Austausch aber nicht verschwiegen. Manche behaupten, 90% der Stäpas seien sowieso tot (dem wurde vehement widersprochen) und überhaupt bei den heute gegebenen Reise- und Austauschmöglichkeiten junger Leute obsolet. Die Hindernisse fangen bereits bei der Sprache an, betreffen die Finanzierung von Projekten und Stellen bis hin zu ständig wechselnden Ansprechpartnern durch Wechsel in den Bürgermeisterämtern. Dabei können alle Unterlagen verloren gehen und es muss wieder aufs Neue für die Partnerschaft geworben werden.
Was tun, wenn nach einer Wahl einem der Partner so gar nicht mehr gefällt? Der in der deutschen EZ gepflegte Mehrebenenansatz (Theo Rauch), so der Konsens, müsste durch einen Mehr-Bein-Ansatz zur Stabilisierung der Stäpas ergänzt werden: wer sich nur auf die Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern verlässt, ist angesichts der beschriebenen Diskontinuitäten verlassen. Zur Stabilisierung der Stäpas bedürfe es immer auch eines zivilgesellschaftlichen Standbeins, also eines Vier-Bein-Ansatzes. D.h. aber auch, dass die Bürgerbeteiligung das A und O solcher Stäpas ist. Stäpas wollen gepflegt sein. Trotz neuer Kommunikationsmöglichkeiten ist die persönliche Begegnung immer noch unverzichtbar. Stäpas haben auch sehr wichtige Funktionen zur Schmiedung und innerhalb von Netzwerken.
Wie wird die Stäpa-Szene 2030 aussehen? Alle äußerten sich optimistisch. Die Stäpas werden bei der Verwirklichung der SDGs eine zentrale Rolle gespielt haben. Und Gesamt-Berlin wird schon lange Fair Trade Town sein.
Die Veranstaltung zu den Stäpas wurde im Rahmen von „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ durchgeführt. Sie stand am Anfang der Woche „Buen Vivir“ zu deren Programm Fachpromotor Robin Stock von FairBindung zum Ende einer wiederum inhaltsreichen LAF-Veranstaltung einlud.
Aktuelles zur internationalen Ebene von Städtepartnerschaften:
Resilient Cities congress 2017 – the 8th Global Forum on Urban Resilience and Adaptation- taking place 4-6 May 2017 in Bonn. Und Klimabündnis europäischer Städte in Partnerschaft mit den indigenen Völkern Amazoniens, Int. Jahreskonferenz vom 20. – 22.09.2017 in Essen.
Fotos: Bernd Schulze
Den Beitrag schrieb Dr. Werner Würtele, Präsident des Lateinamerika-Forums Berlin e.V./Foro de las Américas.