Die GEB lebt!

Fragen und Gedankensplitter zur Diskussion im LAF Berlin am 6.12.2018 „Die 68er und Lateinamerika. Nachdenken über uns und „die“ Lateinamerika-Solidarität. Eine Bilanz.“ Der Abend stand unter dem Zeichen der Wieder-Begegnung und Reflexion. Nach zehn Jahren erstmals wieder trafen sich auf Einladung des LAF Berlin Sozialwissenschaftler*innen, die 1977 als kritisches Pendant zu ADLAF die „Gesellschaft für […]

Fragen und Gedankensplitter zur Diskussion im LAF Berlin am 6.12.2018
„Die 68er und Lateinamerika.
Nachdenken über uns und „die“ Lateinamerika-Solidarität. Eine Bilanz.“

Der Abend stand unter dem Zeichen der Wieder-Begegnung und Reflexion. Nach zehn Jahren erstmals wieder trafen sich auf Einladung des LAF Berlin Sozialwissenschaftler*innen, die 1977 als kritisches Pendant zu ADLAF die „Gesellschaft für entwicklungspolitische Bildung“ kurz GEB als Diskussionsforum und Arbeitsbörse gegründet hatten. 1997 wurde die GEB offiziell beerdigt, doch ihr Geist lebt in ihren Mitgliedern weiter – bis heute. Die GEBler*innen rechneten sich der undogmatischen Linken zu. Nicht bedingungslose, sondern  kritische Solidarität war Leitmotiv.
Bei der Veranstaltung sollte zurückgeblickt werden auf unser Engagement, angefangen  in den 60er Jahren, dann auf die Chile-, Nicaragua- und Brasilien-Solidarität. Was bewegte uns damals? Wie sieht unsere Bilanz aus? Verstehen wir heute etwas anderes unter Solidarität als damals? Hierzu einige (fast) Originaltöne:
-Von Lateinamerika (kubanische Revolution, Che Guevara) ging für die Studierendenbewegung der 60er Jahre eine besondere Faszination aus. Dort schien das zu passieren, was im verkrusteten Deutschland nicht möglich war. Das Augenmerk richtete sich dabei auf spanischsprachige Länder wie etwa Chile.  Brasilien war mehr im Blick kirchlicher Gruppen – und der RAF, die von der Stadtguerilla Brasiliens zu lernen suchte.
– Die 68er waren eine große, weltumspannende Emanzipationsbewegung. Es gab studentische Proteste nicht nur in USA, Frankreich und Deutschland, sondern ebenso in São Paulo, Buenos Aires, Mexiko, Tokio. Die 68er waren wichtig, sie erfüllten Brückenfunktionen.
– Doch heute? Die Lage in fast allen lateinamerikanischen Ländern ist heute so kritisch wie selten zuvor. Sind wir auf der ganzen Linie gescheitert?
Selbstkritisch müssen wir feststellen, dass wir bestimmte Fragen einfach verdrängt bzw.  ausgeblendet hatten (z. B. Menschenrechtsverletzungen sog. revolutionärer Bewegungen an der Macht). Aus unserer Selbstsüberschätzung zogen wir unsere Motivation.
Was ist geblieben? Die Eigentumsverhältnisse zu revolutionieren gelang den 68ern nicht, aber sie/wir gaben wesentliche Impulse zu sozio-kulturellen Veränderungen. Wir fassen es als Lob auf, zum „grün versifften Milieu“ zu gehören. Der Eine Welt Handel hatte seinen Start in den 60/70er Jahren, die Gender-Debatte, noch immer gibt es bestimmte kritische Publikationen zu Lateinamerika, inzwischen nur viel professioneller, s. Lateinamerika Nachrichten, ILA, IZ3W. Die Gründung der TAZ und der Grünen ist dazuzurechnen, die Öko-Bewegung etc. Viele von uns wurden im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit tätig, andere blieben im Wissenschaftsbetrieb. Wenn die deutsche Zivilgesellschaft heute stark ist, dann ist das auch mit unser Verdienst.
Chile. Der friedliche Weg zum Sozialismus mit Allende – ohne Gewalt – zog uns an, doch praktisch gefragt, waren wir vor allem nach dem Putsch. Da ging es um konkrete Solidarität. Die „richtige politische Linie“ spielte keine Rolle mehr. Mit den sich ausbreitenden Militärdiktaturen entdeckten wir die Menschenrechte und den Wert der Demokratie.
Nicaragua. Nach den traumatischen Erfahrungen mit den Militärdiktaturen gab uns die sandinistische Befreiungsfront wieder neue Hoffnungen. Wir haben Anfang der 80er Jahre eine fantastische Basisbewegung gesehen. Wir konnten beobachten (und haben das unterstützt) wie es der armen Bevölkerung besser ging. Aber wir müssen im Rückblick  feststellen, dass wir oft nur sahen, was wir sehen wollten. Was heute 2018 in Nicaragua passiert, konnte man schon in den 80er Jahren „riechen“.
-Diese Meinung erfuhr Widerspruch. Die Geschichte sei nicht linear verlaufen, zwischen 1990 und 2005 gab es bürgerliche Regierungen. Und es gab tatsächlich eine tolle Aufbruchstimmung. Die Revolution ist nicht nur dem Contra-Krieg zum Opfer gefallen, sondern mehr noch eigenen Unzulänglichkeiten.
– In der Frühphase sei unsere Solidarität paternalistisch gewesen, das habe sich geändert. Heute bemühen wir uns um Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
-Damals waren wir auf der Suche nach dem „revolutionären Subjekt“, projizierten unsere Wünsche und Träume auf die Genoss*innen in Lateinamerika.  Und waren dann beim Augenöffnen über die Realität überrascht.
Brasilien. Ich bin ein brasilianischer 68er. Die Zeiten der Militärdiktatur glaubten wir nach 1985 überwunden. Doch nun wird wieder offen diese Zeit, charakterisiert durch Mord, Folter und Diskriminierung, glorifiziert.  Der neue Präsident Bolsonaro spaltet, sät Hass. Sein autoritärer, menschenverachtender Politikstil ist aber weder brasilianisch, noch lateinamerikanisch, es handelt sich um ein globales Phänomen.
-Ich habe viele Jahre in Favelas gearbeitet. In Brasilien ist Sklaverei noch nicht vorbei. Für uns bedeutet Solidarität den Glauben an den Menschen zu stärken.
Brauchen wir eine neue Solidaritätsbewegung? Gewerkschafts-, Umwelt-, Frauen- Stadtteil-, Landlosen- und indigene kurz soziale Bewegungen Lateinamerikas bedürfen nach wie vor internationaler Öffentlichkeit und unsere Unterstützung. Heute mehr denn je.

Gastgeber Werner Würtele.

Heftig wurde ihm widersprochen, als er ein weiteres Treffen dieser Art für 2028 ankündigte! Bei unserem Alter wären fünf Jahre angemessener. Das Ganze endete mit vielen Anekdoten im früheren chilenischen Traditionslokal La Batea. Nicht vergessen sei die musikalische Einstimmung und -rahmung durch Jorge Castro, die bei einigen doch leichte Wehmut erzeugte.

Anknüpfen

Wer hätte gedacht, dass so viele unserer Einladung folgen würden? An der Diskussion nahmen seitens der ehem. GEB (ungeordnet) teil:  Prof. Dr. Klaus Meschkat, Prof. Dr. Clarita Müller-Plantenberg, Prof. Dr. Urs Müller-Plantenberg, Bernd Schleich, Dr. Luiz Ramalho, Dr. Ludgera Klemp, Prof. Dr. Tilman Evers, Gisela Richter, Dr. Michael Krempin, Cordelia Dilg, Dr. Achim Wachendorfer, Theo Mutter, Dr. Juliana Ströbele-Gregor, Prof. Dr. Berthold Zilly, Dr. Sabine Speiser, Prof. Dr. Wolfgang Hein, Alberto Koschützke, Lisa Schleich, Dr. Thomas Kampffmeyer, Dr. Dietmanr Dirmoser, Dr. Guido Ashoff,   Dr. Dorothea Melcher, Dr. Ilse Schimpf-Herken, Dr. Werner Würtele. Stillschweigend in die GEB-Runde aufgenommen wurden: Prof. Dr. Raina Zimmering, Prof. Dr. Klaus Bodemer, Didice Godinho Delgado, Bernd Breuer.

Ihre Nicht-Teilnahme bedauerten ehem. GEBler*innen (alle schickten viele Grüsse) so: Stefanie Spessart, Wolfgang Kaiser, Edgar Fürst, Leni Johann, Karin Gabbert, Edgar von Knebel, Monika Huber, Claus Kittsteiner, Dr. Elmar Römpczyk, Dorothee Oehm-Haeneke, Dr. Hejo Heussen, Erich Süßdorf, Dr. Eleonore von Oertzen, Dr. Karin Stahl, Dr. Volker Wünderich, Malte Letz.
Hinzukamen noch weitere „externe“ Gäste darunter Alvaro Garreaud und Pamela, Jorge, Margot y Natalie Castro, Vereinsmitglieder und die LAF-Aktiven.

Bitte scheut Euch nicht, diesen Beitrag zu kommentieren! Und meldet Euch, wenn beim einen oder anderen noch der Titel fehlen sollte!

Ein Bericht Claudia Méndez (Praktikantin des LAF). Apoyo: Werner Würtele