Gespräch mit Prof. Dr. Kristina Dietz (Universität Kassel) und Michael Reckordt (PowerShift)
Die Veranstaltung des Lateinamerika-Forums Berlin thematisierte die grünen Transformationsprozesse in Lateinamerika, einer rohstoffreichen Region, die im Zentrum globaler Energie- und Klimadiskurse steht.
Ausgangslage und geopolitische Position
Lateinamerika ist von strategischer Bedeutung durch Rohstoffe wie Kupfer und Lithium, unverzichtbar für die internationale Energiewende. Das geopolitische Gewicht der Region hat sich zwar gewandelt, ist aber auch durch neue Import-, Export- und Produktionsstrategien geprägt. Es entstehen neue Partnerschaften, auch mit Deutschland, um grüne Wasserstoffprojekte voranzubringen – allerdings oft mit Blick auf Export und internationales Investment statt lokaler Wertschöpfung. Globale Abhängigkeiten, vor allem von China, manifestieren sich bei Solar-, Wind- und Batterietechnologien. China dominiert Märkte, Lieferketten und die Infrastruktur, maßgebend auch in der Elektromobilität, während europäische Staaten über weniger Macht und Kapital verfügen und die EU oft nur noch als Handelspartner agiert.
Zwei Pfade der Energiewende
Die Energiewende erfolgt heterogen, abhängig von Wirtschaftsstruktur und Regierungsform. Neben exportorientierten Projekten wie grünem Wasserstoff gibt es Bestrebungen zur grünen Industrialisierung und lokalen Wertschöpfung, etwa für Düngemittel oder grün produzierten Stahl, die aber durch interne und externe Machtverhältnisse blockiert werden können. Vielen Ländern fehlt ein „Blueprint“ oder eine faire Strategie: Während sich Staaten wie Kolumbien bemühen, Pilotprojekte im Wasserstoffbereich zu etablieren, bleibt die reale Umsetzung schwierig und oft auf einzelne Pilotansätze beschränkt.
Gleichzeitig bleibt fossile Energie zentral. Neue Öl-, Gas- und Kohlefelder werden weiterhin erschlossen, fossile Unternehmen verlängern ihre Existenz durch Investitionen und setzen sich teilweise als unverzichtbar für wirtschaftliche Stabilität in Szene.
Rohstoffwende und „Greenwashing“
Die Rohstoffwende wird oft von den früheren fossilen Produzenten instrumentalisiert, die sich als zentrale Akteure eines nachhaltigen Wandels positionieren – Greenwashing wird zum strategischen Mittel, während Menschenrechtsthemen in den Hintergrund rücken. Die Lieferketten bleiben angesichts von Krisen, Krieg und Pandemie fragil und Rohstoffe werden durch die EU zunehmend als notwendig für die Verteidigungsindustrie definiert, immer weniger für Windkraft oder Solarausbau. Rohstoffreiche Länder wie Chile, Brasilien und Mexiko gewinnen an Selbstbewusstsein und versuchen, ihren Anteil an der Wertschöpfung zu vergrößern – teils mit Erfolg, teils aber blockiert durch Handelsabkommen und kapitalistische Interessen.
Gerechtigkeit, Protest und Alternativen
„Just Transition“ – gerechte Energiewende – ist ein Schlagwort, das aktuell in Kolumbien politisch nach vorne gebracht wird, in anderen Ländern aber wenig Resonanz hat. Die Umsetzung scheitert häufig an globalen Abhängigkeiten und nationalen Exportinteressen. Während progressivere Regierungskonzepte in Ländern wie Kolumbien tatsächlich den Anspruch einer gerechten Verteilung formulieren, zeigen Konflikte wie die Mapuche-Proteste gegen Windparks: Die indigene Bevölkerung kann dem grünen Fortschritt zum Opfer fallen, durch Landverlust und ohne wirtschaftlich zu profitieren. Genossenschaftliche Initiativen, Gemeindeenergieprojekte und solidarische Experimente entstehen als soziale Alternativen und bilden die Basis für mögliche gerechte Transformationsstrategien – der Hauptimpuls kommt dabei aus der Zivilgesellschaft, nicht von Regierungen oder Marktakteuren.
Herausforderungen und Ausblick
Die kritische Diskussion des Vortrags zeigt, dass eine gerechte grüne Energiewende unter den aktuellen macht- und kapitalistischen Abhängigkeiten kaum möglich erscheint. Die internationalen und nationalen Wertschöpfungsketten bleiben auf kurzfristigen Gewinn und Export fixiert, statt langfristige soziale Perspektiven und lokale Entwicklung zu fördern. Fortschritte werden durch Nischeninitiativen, Gemeindegenossenschaften und transnationale Kooperationen erzielt – jedoch sind diese Ansätze stark begrenzt und stehen im Konflikt mit den Interessen großer Unternehmen und externer Investoren. Am Ende wurde die Notwendigkeit diskutiert, Rohstoffe in Kreisläufen zu halten und eine globale Rohstoffwende mit lokaler Verankerung, sozialer Gerechtigkeit und transnationalem Wissenstransfer zu verbinden.
Eine Zusammenfassung von Dalila Juan und Paul Ritter (Praktikant:innen des LAF Berlin e.V.)
Literaturhinweis:
Hans-Jürgen Burchardt, Kristina Dietz, Hannes Warnecke-Berger (Hrsg.): „Grüne Energiewende in Lateinamerika“
Beitragsbild: Jorge Mahecha, 2014, Molino de viento junto a casas Wayuu en el desierto de la Guajira, Parque Nacional Macuira, CC BY SA 3.0
