Gespräch mit Carmen Gespräch mit Carmen Rosa de León, Präsidentin des IEPADES Guatemala
Ein Rückblick von Dalila Juan und Paul Ritter
State Capture und Sicherheitspolitik in Zentralamerika
Die zentralamerikanischen Demokratisierungsprozesse nach den Friedensabkommen der 1990er Jahre stehen heute vor großen Herausforderungen. Die im Exil lebende Carmen Rosa de León-Escribano vom Institut für Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (Instituto de Enseñanza para el Desarrollo Sostenible) richtet ihren Blick dabei vor allem auf Guatemala, wo sich besonders deutlich ein Wandel von demokratischen Sicherheitskonzepten hin zu zunehmend repressiven Staatsstrukturen zeigt; vergleichend werden auch El Salvador und Nicaragua herangezogen.
Historisch prägten eine oligarchische Machtstruktur und die enge Allianz mit dem Militär Staat und Gesellschaft in Guatemala. Dieses Machtbündnis sicherte über Jahrzehnte ein ausgrenzendes und rassistisches Herrschaftsmodell, das auf Kontrolle, Repression und, während des internen bewaffneten Konflikts, auf Völkermord gegenüber der indigenen Bevölkerung setzte.
Von demokratischer Sicherheit zur State Capture
Die zentralamerikanischen Staaten durchliefen in den 1990er Jahren einen historischen Transformationsprozess: Von der nationalen Sicherheitsdoktrin hin zu einem Konzept demokratischer Sicherheit. Der Rahmenvertrag für demokratische Sicherheit in Zentralamerika definierte erstmals den Menschen als Subjekt und Objekt der Sicherheit. Der regionale Rahmen, der sogenannte Tratado Marco de Seguridad Democrática en Centroamérica, markierte dabei einen grundlegenden Paradigmenwechsel: Sicherheit wurde nicht länger ausschließlich als Schutz des Staates verstanden, sondern als Sicherheit für Menschen. Die menschliche Würde und Rechte rückten ins Zentrum sicherheitspolitischen Handelns. Diese demokratische Errungenschaft wird jedoch heute durch den systematischen Prozess der State Capture bedroht, der Institutionen aushöhlt und Sicherheit zunehmend als Repressionsinstrument missbraucht.
State Capture beschreibt die systematische Kontrolle sämtlicher Staatsinstitutionen durch ein Netzwerk aus Eliten in Politik, Wirtschaft, Militär und organisierter Kriminalität. Diese Agierenden nutzen schwache regulatorische Rahmenbedingungen, manipulieren die Justiz und setzen Sicherheitskräfte repressiv ein. Ihr Ziel besteht darin, öffentliche Ressourcen zu extrahieren und Privilegien zu sichern, während die Mehrheit der Bevölkerung von den Vorteilen demokratischer Entwicklung ausgeschlossen bleibt.
Lawfare als systematisches Verfolgungsinstrument
Ein besonders alarmierender Aspekt ist die Anwendung von Lawfare – dem systematischen Missbrauch des Rechtssystems zur politischen Verfolgung. Seit dem Ende der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) in 2019 wurden in Guatemala über 70 Justizangehörige sowie mehr als 60 Journalist*innen sowie Menschenrechtsaktivist*innen ins Exil gedrängt, zumeist aufgrund willkürlicher Anklagen.
Der exemplarische Fall des Journalisten José Rubén Zamora verdeutlich diese Praktiken: zehn Monate Untersuchungshaft unter prekären Bedingungen, die Inhaftierung seiner vier Anwälte und systematische Verletzung von verfahrensrechtlichen Garantien. Diese Mechanismen reproduzieren bewusst die Logik des internen bewaffneten Konflikts durch die Verfolgung des „enemigo interno“ (inneren Feindes) durch juristische und institutionelle Mittel.
Sicherheitsmodelle im Vergleich
Der Vergleich zwischen El Salvador und Guatemala verdeutlicht zwei grundlegend verschiedene Sicherheitsansätze. El Salvador verfolgt unter der „Mano dura“ (harten Hand) einen militarisierten Kurs mit verlängertem Ausnahmezustand und Massenverhaftungen. Dies führte zwar zu einem drastischen Rückgang der Morde, jedoch um den Preis schwere Menschenrechtsverletzungen und einer deutlichen Aushöhlung demokratischer Prinzipien. Guatemala hingegen versucht, den Rechtsstaat zu stärken und Korruption zu bekämpfen, kämpft aber weiterhin mit anhaltender Gewalt und tief verankerten kriminellen Strukturen.
Die Bedeutung der CICIG
Die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (2007-2019) stand beispielhaft für einen erfolgreichen alternativen Ansatz. Als UN-Initiative zur Stärkung lokaler Ermittlungs- und Justizkapazitäten identifizierte sie 70 kriminelle Strukturen, erhob Anklage gegen über 1.540 Personen und trug zur Verurteilung von Ex-Präsidenten, Unternehmenden und hochrangigen Verbeamtete bei. Ihr systematischer Ansatz zur Zerschlagung illegaler Strukturen zeigte exemplarisch, wie internationale Unterstützung demokratische Institutionen effektiv stärken kann.
Strukturelle Herausforderungen
Die aktuelle Regierung Arévalo in Guatemala steht vor erheblichen institutionellen Hindernissen. Kooptierte Staatsanwaltschaften und Gerichte blockieren Reformen, während Eliten massiven Widerstand gegen Antikorruptionsmaßnahmen leisten. Parallele Sicherheitsstrukturen in Schlüsselministerien untergraben die staatliche Autorität, und hohe gesellschaftliche Erwartungen müssen mit stark begrenzten Kapazitäten in Einklang gebracht werden.
Die Entwicklungen in Zentralamerika verdeutlichen die Fragilität demokratischer Errungenschaften. Der systematische Prozess der State Capture verkehrt das ursprüngliche Ziel der Demokratie in sein Gegenteil: Statt dem Gemeinwohl zu dienen, werden staatliche Institutionen zur Bereicherung weniger und zur Unterdrückung der Mehrheit missbraucht. Nur durch die konsequente Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen, die Förderung von Transparenz und eine nachhaltige Unterstützung der Zivilgesellschaft kann dieser Kreis aus Korruption, Repression und sozialer Ausgrenzung durchbrochen werden.
Foto Credits: Prensa Comunitaria Guatemala