Veranstaltungsbericht zum Vortrag von Dr. Margarita Zires, „Mexiko: Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Ende?“, LAF am 16.8.2017
Nach einem längeren Vorlauf bot sich für die mexikanische Kommunikationswissenschaftlerin Frau Dr. Margarita Zires nun endlich die Gelegenheit, vor einem hoch interessierten Publikum, bestehend aus knapp 40 Personen über die soziale und politische Lage ihres Heimatlandes zu referieren und zu diskutieren. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten über diverse Freihandelsabkommen mit Mexiko (NAFTA, EU) ist dem Thema Menschenrechte besondere Beachtung zu schenken.
Einführend stellte uns der Moderator Dr. Werner Würtele einige wichtige Aspekte aus dem Leben der Vortragenden vor. Geforscht hatte Frau Zires in früheren Zeiten zum Thema politische Gerüchte und zur Madonna de Guadalupe, der Schutzheiligen Mexikos. Seit einigen Jahren widmet sie sich den Menschenrechten.
Mit kritischem Blick auf die reale Situation in Mexiko bevorzugt Frau Zires den juristisch stärkeren Begriff Verbrechen gegen die Menschlichkeit anstelle von Menschenrechtsverletzungen.
Im Fokus ihrer Präsentation standen die Jahre 2006 bis heute – dementsprechend die Regierungszeit der Präsidenten Felipe Calderón (2006 bis 2012) und Enrique Peña Nieto. In diesem Zeitabschnitt erkennt sie eine zunehmende Militarisierung des Landes, gleichermaßen eine steigende Einflussnahme des Militärs. Der Einsatz des Militärs sollte die Entschlossenheit der Regierungen unterstreichen, dem stetig ansteigenden Machtzuwachs der organisierten Kriminalität entgegenzuwirken. Erfolgreich war dieser Ansatz nicht – im Gegenteil. Die Verschränkung zwischen organisierter Kriminalität und Institutionen der Regierung – auf allen Ebenen – ist nur noch intensiver geworden.
Nach außen aber zeigt sich die Regierung als erfolgreich in der Bekämpfung der Drogenkartelle und als große Verteidigerin von Demokratie und Menschenrechten. Die Referentin spricht deshalb von einer „Politik der Simulation“: man tut so als ob und bleibt in Wirklichkeit tatenlos. Offiziell hat Mexiko eines des weltweit komplettesten und teuersten öffentlichen Systems zum Schutz der Menschenrechte. Das Land hat auch alle einschlägigen diesbezüglichen Konventionen unterschrieben. Der Haken: eine internationale Überwachung lehnt Mexiko ab.
Die sich häufenden Gesetzesverstöße und die alltäglich präsente Gewalt versetzen die Einwohner/innen in Entsetzen und Unsicherheit. Anhand mehrerer Studien und der Hinzunahme von Grafiken verdeutlichte Frau Dr. Margarita Zires den enormen Anstieg der Kriminalitätsrate unter den letzten beiden Regierungen. Eines ihrer Diagramme zeigte, dass ab 2006 vor allem die Anzahl von Entführungen und Erpressungen stark angestiegen ist, ebenso Morde. Wenn man die Zahl der begangenen Verbrechen mit der Anzahl der gemeldeten Verbrechen vergleicht, fällt einem schnell die große Diskrepanz auf. Nur wenige Delikte werden gemeldet und noch erheblich weniger bestraft. Laut Global Peace Index wurden in 90% der gemeldeten Verbrechen kein Verfahren eingeleitet. Opfer und Angehörige bleiben allein gelassen. Die mexikanische Regierung hat zwar die Mittel für Sicherheit und Verteidigung stark aufgestockt, jedoch ohne große Wirkung.
Frau Dr. Zires hob außerdem die schwerwiegenden Probleme in mexikanischen Gefängnissen hervor, in denen Insassen unter menschenunwürdigen Haftbedingungen leben müssen. Zum Teil kontrollieren die Insassen die Gefängnisse, die Polizei kooperiert oder schaut taten- und machtlos zu. Als Beispiel für diese extreme Situation wurde das Gefängnis Piedras Negras in Coahuila genannt, welches von dem Kartell der Zetas über mehrere Jahre hinweg als Lager zur Vernichtung von Konkurrenten und Entführungsopfern genutzt wurde.
Die Referentin maß in ihrem Vortrag dem Fall Ayotzinapa besondere Bedeutung bei, der auch international große Beachtung gefunden hatte. Im September 2014 wurden 43 Studierende der Landuniversität Ayotzinapa von Teilen des örtlichen Drogenkartells sowie der lokalen Polizei angegriffen, beschossen und verschleppt. Auch Teile des Militärs sollen involviert gewesen sein. Drei der Studenten starben vor Ort an tödlichen Schusswunden, der Rest bleibt bis heute verschwunden. Der offizielle Bericht der Behörden in Mexiko sieht das Ereignis als Einzelfall und abgeschlossen, die Bevölkerung aber weiß, es ist keineswegs ein Einzelfall, denn Gewalt und Verschleppung seitens der mexikanischen Polizei oder Militärs sind leider Alltag.
Bei all dem Gesagten ist es nur wenig erstaunlich, dass Journalisten, die über Fälle wie Ayotzinapa berichten, besonders gefährdet sind. Die Pressefreiheit ist massiv eingeschränkt. Kritische Journalisten werden systematisch überwacht und ausspioniert – und müssen um ihr Leben fürchten.
Damit schließt sich der Kreis zu dem Titel der Veranstaltung und der Frage, was denn die internationale Gemeinschaft für Mexiko tun kann und ob die Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirklich kein Ende haben. Die mexikanische Regierung reagiert gegenüber Kritik aus dem Ausland sensibel, geht es ihr doch auch um ihren guten Ruf als Investitionsstandort. Die Diskussion wurde stellenweise hitzig geführt. Konsens war aber, dass die Wurzeln der beschriebenen Situation der Gewalt und Straflosigkeit weit in das 20. Jahrhundert zurückreichen.
Bei aller Kritik an der Simulation von Demokratie und Menschenrechtsschutz seitens der mexikanischen Regierung: für Menschenrechtsverteidiger/innen bietet sich dadurch auch die Chance, die Regierung mit ihrem eigenen Anspruch und ihren Versprechen zu konfrontieren. Angela Merkel hatte bei ihrem letzten Besuch in Mexiko die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt. Von Menschenrechtsverteidigern wurde dies sehr positiv registriert.
Ein Rückblick von Jamila Stute und Isabel Moreno (Praktikantinnen des LAF)
Fotos: LAF