Diversität ist unsere Stärke: feministische Kämpfe in Bolivien, Ecuador und Mexiko

Am 21.01.2021 fand die zweite Veranstaltung der Vortragsreihe Frauen*bewegung und feministische Kämpfe in Lateinamerika statt. Organisiert vom Lateinamerikaforum in Berlin trafen sich Lourdes Montero, Soziologin aus Bolivien; Jaqueline Gallegos, Aktivistin aus Ecuador und Sara Lovera López, Journalistin aus Mexiko in einem digitalen Rahmen zum kollektiven Austausch über verschiedene Frauen*bewegungen und feministische Kämpfe. Drei inspirierende Frauen*, […]

Am 21.01.2021 fand die zweite Veranstaltung der Vortragsreihe Frauen*bewegung und feministische Kämpfe in Lateinamerika statt. Organisiert vom Lateinamerikaforum in Berlin trafen sich Lourdes Montero, Soziologin aus Bolivien; Jaqueline Gallegos, Aktivistin aus Ecuador und Sara Lovera López, Journalistin aus Mexiko in einem digitalen Rahmen zum kollektiven Austausch über verschiedene Frauen*bewegungen und feministische Kämpfe. Drei inspirierende Frauen*, welcher Wissen und ihre Erfahrungen in diesem interaktiven Format mit uns zu teilen.

Unterschiedliche Forderungen und Agenden kennzeichnen und erklären den Reichtum der Frauen*- und feministischen Bewegungen in Lateinamerika. Die drei Feminist:innen und Aktivistinnen betonen die vielfältigen und unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der Bewegungen in ihren jeweiligen Ländern aus eigenen, aber ebenso verbündeten Blickwinkeln.

Die große Diversität der Frauen*- und feministischen Bewegungen in Lateinamerika lässt sich unter anderem auf unterschiedliche Forderungen, Motive und Handlungsvorhaben zurückführen. Lourdes Montero erläutert die Vielfalt mit Augenmerk auf deren Einfluss:

Diese große Vielfalt an Bewegungen hat eine unverzichtbare Bedeutung, da der Feminismus in den letzten 20 Jahren beim Aufbau der Demokratie und des sozialen Fortschritts in Bolivien eine wesentliche Rolle gespielt hat.

Eine der wichtigsten Bewegungen in Bolivien ist die indigene Bauernbewegung, mitunter vertreten durch die Vereinigung Bartolina Sisa. Sie bezeichnen sich nicht gerne als Feminist:innen, fordern jedoch seit Jahrzehnten Rechte für Frauen* als wichtigen Bestandteil des sozialen Kampfes. Unterschieden werden muss jedoch zwischen institutionalistischen Bewegungen, oftmals kollaborierend mit NGOs und neuen Bewegungen junger Feminist:innen, die sich selbst als anarchistisch und antiautoritär bezeichnen. Diese Aktivist:innen haben einen entscheidenden Beitrag für die Erweiterung der feministischen Agenda geleistet, in deren Mittelpunkt neben dem Recht auf Abtreibung und dem Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit auch der Schutz der Umwelt und antikapitalistische, gesellschaftskritische Formate ihren Platz gefunden haben.

Auch Jaqueline Gallegos betont die Rolle der Frauen* in verschiedenen Kämpfen gegen eine patriarchale Gesellschaft, wie dem Kampf auf das Recht auf Abtreibung. Diese essenziellen, lebensnotwendigen Kämpfe müssen geführt werden, denn in Ecuador ist Abtreibung noch verboten. In Mexiko und Bolivien stehen alle Frauen*rechte in der Verfassung und in mehreren Gesetzen. Außer dem Recht auf Abtreibung, so Sara Lovera López, denn

nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche ist es frei, nach einem langen Kampf zwischen der Straße, Verhandlungen und Bündnissen.

Das Erbe der vielen historischen Mobilisierungen und Emanzipationsbestrebungen von Frauen* mit Höhepunkt in den Arbeiter:innenbewegungen der 20er Jahre ist auch aktuell noch spürbar. Die Zusammenarbeit dieser Frauen*bewegungen mit unterschiedlichen Ausdrucksformen im städtischen und ländlichen Raum sowie das Zusammenschließen mit den machthabenden Frauen* bedeutet ein Feminismus des Staates. Lovera López erklärt:

Feminist:innen waren zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Momenten sichtbar: Wir haben durch den gesetzlichen Rahmen und durch Regierungsprogramme Einfluss genommen.“

Politisch aktive Frauen*, die Themen auf die politische Agenda setzen und vorher zweit- oder drittrangig waren, haben nun eine essenzielle Sichtbarkeit erlangt.

Es gab Zeiten, in denen feministische Bewegungen sehr institutionalisiert wurden. Vereinbarungen und Kollaborationen mit dem Staat wurden getroffen. Junge Frauen* wehren sich dagegen. Wir stehen an einem Moment der immensen Mobilisierung junger Feminist:innen welche so nie zuvor in der Geschichte stattgefunden hat. Die Inanspruchnahme und Rückforderung des öffentlichen Raums: Keine Verhandlungen mit dem Staat, sondern anarchistischer, antikapitalistischer Ungehorsam.

Es existieren jedoch auch schlimme Formen der Unterdrückung und des Rückschritts: Die drei Feminist:innen sprechen über das Problem der Zunahme von häuslicher Gewalt im Zusammenhang mit der Pandemie. Häusliche Gewalt, der Verlust von informeller Arbeit im Handels- und Dienstleistungssektor sowie Feminizide sind Zeugnis der wachsenden Unterdrückung und Schutzlosigkeit vieler Frauen* im Kontext der Pandemie. Trotz all dieser Repression sind es Frauen*, welche Fürsorge- und Pflegearbeit zu Zeiten von Pandemien leisten. Sie sind die Protagonist:innen gesellschaftlichen und politischen Wandels. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass es trotz der positiven Veränderungen immer noch enorme Ungleichheit, Diskriminierung, Misshandlung von Frauen* und eine Zunahme von struktureller Gewalt gibt. Die sich vermehrenden Proteste in Bolivien und Mexiko während und nach dem Regierungswechsel sind Zeugnis einer versagenden Politik.

Jaqueline Gallegos spricht zudem über die intersektionellen Überschneidungen, die berücksichtigt werden müssen, um diese gleichzeitige Überlagerung mehrerer Formen der Unterdrückung zu verstehen, welche strukturelle Diskriminierung und Machtausübung ausmacht.

Eine der größten Ungerechtigkeiten ist der Glaube, dass wir alle gleich sind. Wenn Sie glauben, dass alle Menschen gleich sind, gibt es ein Problem. Es ist notwendig zu differenzieren, um die bestehenden Ungleichheiten und bestimmten Formen der Unterdrückung zu erkennen. Wir können nicht über Feminismen und Mehrfachdiskriminierungen von Frauen* sprechen, ohne die realen Strukturen zu verstehen, aus denen sie kommen. Ecuador ist ein Land mit einer Geschichte der Kolonisierung, die in einer Differenzierung von Klassen und Ethnien wurzelt und immer noch verteidigt wird. Hinter der Versklavung, dem Handel und der Art der Invasion der Territorien stand immer der Diskurs eines Über- oder Unterlegenen. Unsere Gesellschaften basierten und basieren immer noch auf dem Verständnis, welches durch die Kolonisierung geprägt wurde: Die Form der rassistischen Diskriminierung von schwarzen Frauen* sowie von einheimischen Frauen* und vulnerablen Bevölkerung.

Jaqueline Gallegos ruft dazu auf, diese unterdrückenden Machtstrukturen sichtbar zu machen, damit sich wirklich etwas ändert. Ein Bewusstsein für die Produktion und Reproduktion kolonialer und postkolonialer Hierarchisierungsprozesse und Diskriminierungen ist essenziell, um den Kampf Schwarzer und Indigener Frauen* zu verstehen, die sich in Ihrem Kampf vielfältigen Formen der Diskriminierung stellen müssen, da Konflikte und Gewalterfahrungen weiterhin ausgeblendet und die Problematiken im öffentlichen Diskurs marginalisiert werden.

Die drei Rednerinnen bieten unverzichtbare Perspektiven und interagieren mit einem Publikum, das mit großer Bewunderung und Interesse zuhört. Die vielfältigen Facetten der Frauen*bewegungen und feministischen Kämpfe zeigen Gemeinsamkeiten in den Forderungen nach dem Recht auf Selbstbestimmung, Menschenwürde, Gleichberechtigung, kritische Analyse und Dekonstruktion von Geschlechterordnungen sowie dem Kampf für Menschenrechte, Partizipation, Nicht-Unterdrückung, Zugang zu Macht und öffentlicher Diskursteilhabe. Die letzten Jahre haben einen Bruch mit den bisherigen Bewegungen und Kämpfen mit sich gebracht: Der Kampf gegen die Gewalt ist sichtbarer geworden

Besonderer Dank gilt der Friedrich-Ebert-Stiftung als Kooperationspartner:in und natürlich den drei wunderbaren Referentinnen: Lourdes Montero, Jaqueline Gallegos und Sara Lovera López.

Den gespeicherten Livestream finden Sie hier.

Bericht von Elisa Hafner

Foto Credits: luzencor, Marcha #8M, CC BY-ND 2.0