„Ein Leben im Geiste des Che“ – Gespräch mit Erwin Anastasio Kohmann und Juliana Ströbele-Gregor
am 16.11.2017 im LAF.
Moderation: Werner Würtele
Viele Veranstaltungen zuvor hatten dieses Jahr bereits zum Gedenken an Che Guevara stattgefunden. Das Besondere an diesem Abend sollte sein, ein Stück revolutionäre Geschichte Lateinamerikas und das Verhältnis von Kirche und Befreiungsbewegungen an der Biographie des Ex-Franziskaners Erwin Kohmann im Gespräch mit der Ethnologin Dr. Juliana Ströbele-Gregor nachzuzeichnen. Über 60 Gäste kamen zu dieser Kooperationsveranstaltung. Susanne Stollreiter für die Friedrich-Ebert-Stiftung und Dr. Werner Würtele für das LAF begrüßten das Publikum herzlich.
50 Jahre ist es nun her, dass Ernesto Che Guevara am 9. Oktober 1967 auf Weisung des bolivianischen Präsidenten René Barrientos Ortuno in La Higuera/Vallegrande in Bolivien exekutiert wurde.
Che Guevara ist längst zur Kulturfigur des „Werbe-Pops“ geworden. Viele Menschen tragen heutzutage sein Gesicht auf der Brust aus dem einfachen Grund, dass es als chic, modisch oder rebellisch gilt und nicht, weil sie sich mit seinen politischen Ideen auseinandergesetzt hätten. Kontrovers, so zeigte es sich auch an unserem Veranstaltungsabend im LAF, ist mittlerweile auch die Sicht ehemaliger und aktueller Che-Anhänger ihm gegenüber – Held, Ikone, Widerstandskämpfer, Heiliger?
Che als Jesus – ist da was dran an dem Vergleich? Auf dem Podium gaben Erwin Kohmann und Dr. Juliana Ströbele-Gregor spannende praktische und analytische Einblicke in diesen Zusammenhang. Sie setzten sich auch mit dem aktuellen politischen Prozess in Bolivien auseinander. Erwin Kohmann ist heute als Kleinbauer tätig und pflegt in Vallegrande Che Guevaras Andenken.
1966 kam Erwin Kohmann mit dem Franziskanerorden nach Paraguay. Er berichtete, wie ihn die Auseinandersetzung mit Armut und Elend der Landbevölkerung politisierte und wie er Anhänger der Theologie der Befreiung als auch der Pädagogik der Befreiung wurde. Er ließ das Publikum teilhaben an seinen Erfahrungen mit den Bauerngruppen in Paraguay und Bolivien. Er wurde Zeuge des Genozids am indigenen Volk der Achés zu Zeiten des Generals Stroessner. In Paraguay wurde er 1975 verhaftet und musste Erfahrung mit dem berüchtigten „Plan Condor“ machen, dem Netz der Geheimdienste der Militärdiktaturen, auf dessen Konto Tausende von Morden und Entführungen gingen.
Von Che Guevara selbst hätte man in seiner Zeit in Paraguay nicht viel gehört. Ab und zu sei ein Zeitungsbericht über Guerilla-Aktivitäten erschienen, aber dass bei diesen Che Guevara eine Rolle spielte, wusste man nicht.
Sehr wichtig sei in den 60er Jahren das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1966) gewesen. Dieses habe viel Erneuerung und Hoffnung mit sich gebracht. Das Konzil mündete 1968 in die lateinamerikanische Bischofskonferenz CELAM in Medellin/Kolumbien, bei der sich die Bischöfe zur „Option für die Armen“ bekannten, für Frieden, Gerechtigkeit und Entwicklung. Zur Analyse gehörte die Kritik an den USA, die in allen lateinamerikanischen Ländern ihre Hände im Spiel hatten und im sog. Kalten Krieg zur „Eindämmung des Kommunismus“ intervenierten. In der Einschätzung der Rolle der USA waren sich die Kirche und Che Guevara nicht fern.
Als Erwin Kohmann 1977 nach Vallegrande kam, gab es noch keine öffentliche Erinnerung an Che. Die relativ kleine Stadt war überfüllt mit Militär. Bolivien befand sich noch unter der Diktatur von Hugo Banzer Suárez. Die Bevölkerung war unterdrückt und hatte Angst über Che Guevara zu sprechen. Doch hätten viele der Mitarbeiter der Kirche unter ihrem Kreuz an der Wand bereits ein Bild Che Guevaras hängen – das Bild Ches in der Waschküche auf welchem er Jesus so ähnlich sieht, erinnert sich Erwin Kohmann.
Der Ex-Franziskaner erkennt viele Parallelitäten zwischen der katholischen Soziallehre und dem Gedankengut des Atheisten Che Guevara. Ches Kirchennähe hätten sich auch in Einträgen seines Tagebuchs über die Besuche und Besichtigungen aller Kirchen in der Umgebung gezeigt.
Seit Evo Morales Präsident Boliviens ist, hat sich das Verhältnis der Regierung zu Che Guevara geändert. 2017 war das erste Jahr in welchem die Regierung seinen Gedenktag organisierte. Evo Morales machte Che kurzerhand zum Bolivianer. Drei Aspekte sind Evo Morales, folgt man Kohmann, besonders wichtig: 1. Ches Antiimperialismus – die Klarheit darüber wie der Imperialismus arbeitet und dass man sich nicht blind stellen darf. 2. Der humane Aspekt und der Kampf gegen die Korruption und 3. Ches Vision der Entwicklung der Arbeit/der Technik. Wie Che will Evo, dass die lateinamerikanischen Länder ihren Entwicklungsprozess selbst in die Hand nehmen und sich selbstständig machen, um nicht weiterhin den Industrieländern abhängig zu sein.
Dr. Juliana Ströbele-Gregor beleuchtet die Komplexität des Problems aus wissenschaftlicher Perspektive. Sie verdeutlicht, dass es in Bolivien verschiedene Perzeptionen Che Guevaras gibt. Bei den Studenten und der städtischen Bevölkerung gebe es großen Anklang für seine Person, doch bei der indigenen Bevölkerung Boliviens sehe das ganz anders aus. Viele seien sogar empört über das Che Guevara Denkmal in El Alto. Sie identifizieren sich nicht mit ihm und fordern eine „Dekolonisierung der Prozesse“. Statt Che Guevaras sollte der Anführer des indigenen Aufstands Tupác Amaru an dieser Stelle stehen. Che sei nach Bolivien gekommen, ohne sich mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen vertraut gemacht zu haben. Er habe sich nicht darüber informiert wie die Bauern zur Regierung standen. Viele seien Unterstützer der Barrientos-Regierung gewesen, siehe Pacto Militar-Campesino. Aus diesem Grund sehen viele Indigene Che Guevara keineswegs als Befreier. Che hätte die Lage in Bolivien katastrophal falsch eingeschätzt.
Evo Morales versteht sich als Regierung der indigenen Bevölkerung. Und trotzdem geraten die bolivianische Regierung und Indigene immer wieder aneinander. Konflikte gibt es dann, wenn es um staatliche Vorhaben wie den Abbau von Bodenschätzen und große Infrastrukturprojekte in ländlichen Regionen geht. Das Argument des „Antiimperialismus“ würde als „Totschlagargument“ gegen alle genutzt, die sich gegen die Regierung und staatliche Vorhaben stellen, stellt die Ethnologin fest.
Seit Anfang der 90er Jahre können Polit-Touristen auf den Spuren des Che wandeln, der „Ruta del Che“. Im Publikum befinden sich einige Gäste die bereits der „Ruta“ gefolgt sind, um nachzuempfinden, mit welchen Hindernissen die Guerilleros in Vallegrande konfrontiert waren. „Die Hitze, die Moskitos, das Gestrüpp. Che ist diesen Weg asthmakrank, verletzt und mit Hunger hochgelaufen. Also schaffe ich das auch!“, erzählt eine Dame aus dem Publikum. Andere berichten von ähnlichen Erfahrungen.
Der „Ruta del Che“, welche den armen ländlichen Gemeinden zu etwas Geld verhelfen soll, kann Juliana Ströbele-Gregor nichts abgewinnen. Kontrovers sei das Projekt vor allem, weil man das Gedenken an die Guerilleros in der Region vornähme, in welcher der Verrat dazu geführt hat, den Guerillakampf zu zerstören. Auf die Frage, inwieweit man Verrat und Gedenken miteinander vereinbaren könne, erhielt Juliana Ströbele-Gregor die Antwort: „Naja man lernt eben dazu …“ Sie sieht kritisch, dass das Andenken an Che nach Kuba nun auch in Bolivien verstaatlicht, d.h. mit der Politik von Evo Morales, gleichgesetzt würde. Che lässt sich eben vielseitig vereinnahmen.
Darf man sich mit einer Revolutionsikone kritisch auseinandersetzen? Schon, mein Erwin Kohmann, doch im Gegensatz zu Ströbele-Gregor ist „Che“ für ihn auch heute noch ein großes Beispiel, dem es zu folgen gilt. Ströbele sieht durchaus humanistische Züge an Che, doch dürfte z. B. seine Verantwortung für die Massenexekutionen in Kuba 1959 nicht verschwiegen werden. Eine Idealisierung und Romantisierung des Widerstandskämpfers lehnt sie ab.
Sehr interessant waren – wie immer – auch die Beiträge aus dem Publikum. Erinnert wurde an den kolumbianischen Priester Camilo Torres, der sich 1965/66der Guerilla angeschlossen hatte und bereits im ersten Gefecht, noch vor Che Guevara starb. Oder: Der SDS Berlin konnte im Oktober 1967 z. B. nicht glauben, dass Che gefallen sei – der sei viel zu klug, um sich in ein solches Abenteuer zu stürzen, merkte Urs Müller-Plantenberg an.
Bemerkenswert ist, wie wenig die sog. Befreiungsbewegungen aus dem Scheitern Ches im Kongo und in Bolivien gelernt haben. Wie Che glaubten sie nach der erfolgreichen kubanischen Revolution, dass eine Handvoll guerilleros reichen würde, um die Massen zu mobilisieren und eine militärische Übermacht niederzuringen. Man müsse die Militärs nur genügend provozieren, repressiv gegen die Bevölkerung vorzugehen, diese würden dann zu den Waffen greifen und an der Seite der Guerrilla den Sieg im Volkskrieg erringen. Die Geschichte der Militärdiktaturen zeigte – leider – etwas anderes.
Che wollte eine bessere Welt. Das wollten an diesem Abend auch alle. Frage ist nur, mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen ist. Frau Stollreiter von der Friedrich Ebert Stiftung lobte Erwin Kohmann für sein Engagement als Leiter der Che Guevara Gedenkstätte von Vallegrande und würdigte sein Leben im Geiste des Che – sein Engagement für ein buen vivir mit friedlichen Mitteln. Das Ziel vor Augen – ohne Waffen in der Hand.
Ein Beitrag von Yanays Velazquez Revé, Praktikantin
Fotos: Ixchel Solís und Bernd Schulze
Hinweis: Artikel von Werner Würtele, Hasta siempre, Che, in: Lateinamerika Nachrichten 521/November 2017, S. 50-22: artikel_in_LN_zu_che
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